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Mit dem richtigen Gespür für Schnee

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Zwei Skifahrer fahren hintereinander einen Hang hinunter.

Zuerst ist da das ungläubige Staunen, dann folgen Anerkennung und aufrichtiger Respekt – wenn der blinde Paul Intveen elegant die Piste herunterwedelt. Im Interview erzählen er und sein Begleitläufer Rolf Kroseberg, wie sie als Team noch jeden Hang bezwungen haben.

Aktion Mensch: Herr Intveen, Herr Kroseberg, wo erreichen wir Sie gerade?

Rolf Kroseberg: Wir sind in Maria Alm im Salzburger Land. Der Ort liegt auf 800 Metern und wir haben hier ein paar wunderschöne Skigebiete vor Tür.

Aktion Mensch: Sie, Herr Intveen, sind blind. Rolf Kroseberg ist ihr Begleitläufer. Wie funktioniert ein solches Team?

Paul Intveen: Eigentlich ist es ganz einfach. Der Begleiter fährt mit einem Abstand von wenigen Metern voraus und gibt über ein Mikro und einen Lautsprecher auf dem Rücken Kommandos: „Geht“ bedeutet „weiter so“. „Hop“ kündigt einen Richtungswechsel an und bei „halt“ sollte man stoppen. Auf diese Weise wird eine akustische Spur gelegt, die für die nötige Orientierung sorgt.

Aktion Mensch: Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie auf den Brettern stehen, Herr Intveen?

Paul Intveen: Für jemanden, der blind oder stark sehbehindert ist, ist das Skifahren emotional eine absolute Ausnahmesituation. Als ich noch sehen konnte, bin ich Rennrad gefahren. Tempo und Freiheit waren mir immer wichtig. Es gibt aber keine Sportart, bei der man sich so frei fühlt wie beim Skifahren. Das schnelle Reagieren, die Kräfte, die da wirken – das ist etwas ganz Besonderes. Wenn ich das spüre, springt mir fast das Herz aus der Brust, ein großartiges Gefühl! Freudentränen oder laute Juchzer auf der Piste sind nie ausgeschlossen. Das sind ganz intensive Momente, die man da zusammen mit seinem Begleiter erlebt.

Rolf Kroseberg: Und das macht für mich natürlich auch die Motivation beim Begleitlaufen aus: diese außergewöhnliche Momente und dass da jemand ist, der dir voll und ganz vertraut.

Aktion Mensch: Seit wann sind Sie beide ein Team?

Paul Intveen: Wir fahren seit vier Jahren immer mal wieder gemeinsam. Aber ich bin auch regelmäßig mit meiner Frau unterwegs, die übrigens ihre Begleitläufer-Ausbildung bei Rolf gemacht hat.

Rolf Kroseberg: Genau. So haben wir uns ja auch kennengelernt. Ich selber habe die Begleitläufer-Ausbildung vor Jahren in Österreich absolviert. Seit acht Jahren biete ich selbst solche Lehrgänge über unseren Heimatverein an, dem TSV Kareth-Lappersdorf, nahe Regensburg. Inzwischen haben wir genügend Engagierte, um alle interessierten blinde Skiläufer bei unseren etwa 15 Skiausfahrten pro Jahr begleiten zu können.  Kost, Logis und Lift der Begleiter übernimmt dann der Verein, die Zeit muss jeder selbst mitbringen. Zwei meiner Kinder fahren inzwischen auch als Begleitläufer mit. Das alles wäre allerdings kaum ohne meine Frau möglich, die viel im Hintergrund organisiert und mich in den Wintermonaten tatsächlich selten zu sehen bekommt…

Aktion Mensch: Was muss man mitbringen, wenn man Begleitläufer werden will?

Rolf Kroseberg: Man sollte natürlich sicher Ski fahren können, darüber hinaus ist uns vor allem die Motivation wichtig. Zu unseren Lehrgängen kommen übrigens Fahrer aus ganz Deutschland. Meist sind das Eltern, Geschwister und Freunde von blinden Skibegeisterten, aber auch Skilehrer oder Schullehrer. Gerne würden wir noch weitere Vereine und Gruppen für den alpinen Blindenskilauf begeistern – da ist in Deutschland noch eine ganze Menge Luft nach oben!

Aktion Mensch: Wie kann man sich das gemeinsame Après-Ski vorstellen?

Paul Intveen: Das Beste an den Abenden im Hotel ist, dass einen hier niemand bemuttert. Ob blind, sehbehindert oder nicht-blind – das ist hier komplett egal. Man ist einfach Paul oder Rolf, und wenn Paul bei irgendetwas Unterstützung braucht, fragt er eben. Für mich ist die Welt genauso groß wie für jeden anderen. Nur dass ich hin und wieder jemanden mit einer Taschenlampe brauche.

Aktion Mensch: Wird aus dem gemeinsamen Skifahren auch so etwas wie Freundschaft?

Rolf Kroseberg: Wenn man so viel Zeit miteinander verbringt, redet man automatische irgendwann auch über persönliche Dinge. Man erfährt, wo dem anderen der Schuh drückt. Und wenn ich mal im Rheinland bin, dann schaue ich auch bei Paul vorbei.

Paul Intveen: Es baut sich tatsächlich eine vertraute freundschaftliche Bindung auf, und es ist großartig, wie sich Rolfs komplette Familie für die Sache engagiert.

Aktion Mensch: Morgen ist der Lehrgang vorbei – was steht als Nächstes auf dem Programm?

Paul Intveen: Ich steige in den Zug nach Köln. Montag sitze ich dann am Schreibtisch und bin wieder Banker.

Rolf Kroseberg: Ich mache nur einen kurzen Zwischenstopp Zuhause. Dann geht es weiter zu einem Skiwochenende nach Ratschings…

Zum Internetangebot des TSV Kareth-Lappersdorf

(Henrik Flor)


Mein Glücks-Los: So einfach geht's

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Auf der Suche nach Glück? Wer ist das nicht?! Glück, das sieht für jeden anders aus: Zeit für die Familie und Freunde, ein Traumhaus, eine Weltreise oder nie mehr Sorgen ums Geld. Mit dem neuen Los der Aktion Mensch, „Mein Glücks-Los“, bestimmen Teilnehmerinnen und Teilnehmer jetzt individuell in drei Kategorien über ihr persönliches Gewinn-Glück.

Das Glück kommt bei diesem Los vielseitig daher: Neben Dauer- und Sofortgewinn können Los-Käuferinnen und -Käufer den neuen und bislang einzigartigen Kombigewinn wählen. Was das ist? In unserem Video wird das neue Aktion Mensch-Los einfach und schnell mit all seinen Vorteilen erklärt.

 

Early Birds“ haben noch mehr Chancen

Für Schnellentschlossene starten wir schon jetzt im Februar mit einer „Early Bird-Aktion“ den Glücks-Los-Vorverkauf für das Los, das erst ab März erhältlich ist. Wer sofort zugreift, erhält als Dankeschön das ebenfalls neue Zusatzspiel für den ersten Monat kostenlos. Damit haben Sie zusätzlich die Chance, wöchentlich weitere 12.500 Euro zu gewinnen.

 

Bestellen Sie jetzt: Hier geht's direkt zu Ihrem persönlichen „Mein Glücks-Los“!

Sehen Sie auch das Video zu diesem Beitrag

(Redaktion )

Weder Haut-, noch Rollstuhlfarbe zählt

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Eine Frau im Rollstuhl und ein Mann mit Migrationsherkunft arbeiten an einem Computerbildschirm

Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Religion, Sexualität? Ganz egal. Je bunter, desto besser! Dieser Gedanke soll in der Arbeitswelt Karriere machen. Die Aktion Mensch hat deshalb am 4. Februar als 2000. Organisation die „Charta der Vielfalt“ unterschrieben. Aus diesem Grund erklärt die Personalleiterin der Aktion Mensch, Petra Strack, wie vielseitig und bunt die Aktion Mensch ist.

Welche Bedeutung hat Vielfalt für die Aktion Mensch?

Petra Strack: Hautfarbe, Herkunft, Religion unserer Mitarbeiter – wir führen darüber prinzipiell keine Statistiken, weil es für uns einfach keine Rolle spielt. Wir nehmen den Bewerber, der unserer Ansicht nach die Aufgabe am besten erfüllen kann, und ob derjenige jetzt Muslim oder Christ, Mann, Frau, jung, alt oder was auch immer ist, das ist uns erstmal egal.

Das Thema Behinderung nimmt für uns aufgrund der Zielsetzung unserer Organisation aber eine Sonderrolle ein, deshalb schauen wir dort in der Tat genauer hin. Wir möchten als Vorbild vorangehen. Wir haben eine Beschäftigungs-Quote von Menschen mit Schwerbehinderung von ungefähr 14 Prozent, das  ist um ein Dreifaches höher, als es die gesetzliche Bestimmung vorschreibt. Über 5 Prozent unserer Angestellten in Führungspositionen haben eine Behinderung. Außerdem achten wir insbesondere bei Auszubildenden und Praktikanten bewusst darauf, dass wir viele Menschen mit Behinderung in die nähere Auswahl miteinbeziehen, um Chancen für den ersten Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Wie geht die Aktion Mensch individuell auf ihre Arbeitnehmer ein?

Petra Strack: Wir bieten zum Beispiel Nischen-Arbeitsplätze an. Das ist eine relativ neue Form der Beschäftigung. Da geht es meistens um Menschen mit psychischer Beeinträchtigung, die mit einigen üblichen Aufgaben auf dem ersten Arbeitsmarkt überfordert wären. Deshalb schaffen wir bewusst Stellen, bei denen so gut wie kein Leistungsdruck da ist. Das sind Tätigkeiten, die zwar gemacht werden müssen – also es ist keine Beschäftigungstherapie –, aber die keinen zeitlichen Druck ausüben. Zum Beispiel könnte ein Teil der Arbeit im Kundenservice das Kuvertieren sein. Zurzeit bieten wir bei der Aktion Mensch zwei Nischen-Arbeitsplätze an.

Familienpolitik und die Gleichstellung von Frau und Mann spielen hinsichtlich der Vielfalt von Unternehmen eine große Rolle. Sind das für die Aktion Mensch auch wichtige Themen?

Petra Strack: Wir schreiben die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr groß. Das fängt dabei an, dass wir in allen Fällen versuchen, Teilzeitarbeit möglich zu machen – unser Grundsatz ist, wenn es irgendwie geht, dann kriegen wir es auch hin! Zudem haben wir die Kindergeld-Zulage von 208 Euro pro Kind, das ist ein Zusatz, um die Kinderbetreuung sicherzustellen und dann eben auch als Mutter arbeiten zu können.

In Bezug auf die Einstellung von Männern und Frauen, haben wir übrigens eine sehr hohe Frauenquote. 64 Prozent der Angestellten sind weiblich – brauchen andere Unternehmen eine Frauenbeauftragte, bräuchten wir also eigentlich einen Männerbeauftragten.

 

Die Unternehmensinitiative „Charta der Vielfalt“ setzt sich für die Anerkennung und Wertschätzung von Vielfalt in Unternehmen ein. Schirmherrin der Initiative ist Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Aktion Mensch gibt mit ihrer Unterschrift das Versprechen, Diversität im Unternehmen voranzutreiben.

 

Linktipps:

Mehr Informationen zur Unterzeichnung der „Charta der Vielfalt“ in der Pressemitteilung der Aktion Mensch

Die Unternehmensinitiative „Charta der Vielfalt“

Mehr Infos zum Thema Arbeit und Inklusion

Petra Strack

(Katharina Hovestädt)

Verstehen ist mehr als Hören

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Margit Glasow und Hannah Tinten sitzen an einem Tisch

Meine Begegnung mit Hannah Tinten: Es ist gar nicht so einfach, uns auf einen Kaffee zu verabreden. Hannah steckt in den letzten Zügen zur Fertigstellung ihrer Bachelorarbeit, und mein Terminkalender ist wie gewöhnlich übervoll. Dabei würde ich gern mehr von ihr erfahren. Mehr als nur die Tatsache, dass sie ein Cochlea-Implantat (CI) trägt und immer sehr offen und interessiert auf Veranstaltungen erscheint. Aber unsere Begegnungen sind flüchtig.

Ich lernte Hannah kennen, als ich nach einem barrierefreien Veranstaltungsort suchte. Einen Ort zu finden, der für Rollstuhlfahrer geeignet ist, war gar nicht mal so schwer. Doch bei dem Versuch, für Menschen mit Hörbehinderung akzeptable Bedingungen zu schaffen, stieß ich schnell an Grenzen. Denn sowohl für die Beauftragung eines Gebärdensprachdolmetschers als auch für das Ausleihen einer Induktionsschleife fallen erhebliche Kosten an. Als kleiner Verein konnten wir die nicht aufbringen. Doch ich hasse es, von Inklusion zu reden und letztendlich doch wieder Menschen auszugrenzen. Was konnte ich also tun?

Auf der Suche nach einem barrierefreien Veranstaltungsort

Eine hörbehinderte Frau aus unserem Verein Rostocker für Inklusion und gesellschaftliche Teilhabe e.V. machte mich auf Hannah Tinten aufmerksam, eine junge Frau, die hier in der Stadt die Selbsthilfegruppe für Cochlea-Implantat- und Hörgeräte-Träger leitet. Hannah könnte mir vielleicht mit einer Induktionsschleife helfen, die ihre Selbsthilfegruppe mittels Fördermittel angeschafft hatte. Ich fand Hannah schnell auf Facebook und schrieb sie an. Und bei ihrer Antwort hatte ich sofort das Gefühl: Da ist jemand, der bereit ist, sich zu vernetzen, und selbst ein Stück dafür tun möchte, dass Menschen mit Hörbehinderung an dieser Gesellschaft teilhaben können.

Nun, Anfang Januar sitzt Hannah mir in einem kleinen Café gegenüber. Und ich bin überrascht, wie gut wir uns trotz des Stimmengewirrs, das in dem an diesem Nachmittag gut besuchten Café hin- und herfliegt, verständigen können. Hannah muss so gut wie niemals nachfragen, wenn ich etwas sage. Ihr rötlicher, kurzer Haarschopf schimmert im gedämpften Licht, während sie mit ihrer feinen, aber bestimmten Stimme von sich erzählt. Darüber, dass sie schon von Kindesbeinen an hochgradig schwerhörig war, auf dem rechten Ohr völlig gehörlos – vermutlich durch Toxoplasmose– und bereits mehrere, schon früh aufgetretene Hörstürze hatte. Dass sie beidseitig immer mit Hörgeräten versorgt gewesen war, bis zum Abschluss der Mittleren Reife keine Hörprobleme empfand und bis dahin die Regelschule besuchte. Erst im Abitur entschied sie sich für eine Schule für Hörgeschädigte, da keine Regelschule sie aufnehmen wollte.

Hannahs Entscheidung für ein CI

Hannah erzählt mir, dass Ärzte sie bzw. ihre Mutter immer wieder auf die Möglichkeit des CI hingewiesen hätten, sie sich jedoch nicht als CI-Kandidatin einstufte, da sie sehr gut in der Regelschule zurechtkam. Mit Beginn ihres Medizinstudiums wurde ihr bewusst, dass sie dies nur erfolgreich abschließen konnte, wenn sie auch ausreichend verstand. Sie entschied sich dafür, ihr rechtes Ohr mit einem CI versorgen zu lassen.

Doch zunächst konnte sie mit dem CI nur Geräusche differenzieren: Das Klacken von Stöckelschuhen trieb sie fast in den Wahnsinn. Selbst leises „Klack-Klack“, das Schellen einer Fahrradklingel oder das Ticken einer Uhr waren nicht zu ertragen. Ihr Gehirn kombinierte die Informationen vom CI auf der einen Seite und des Hörgerätes auf der anderen Seite einfach nicht zu einem Ganzen. Sie hatte den Eindruck, alles zweimal zu hören, aber trotzdem nichts zu verstehen. Es fiel ihr schwer, den Vorlesungen zu folgen. Nach fast einem Jahr genehmigte die Rentenversicherung ihren Reha-Antrag. Nach einem grottenschlechten Semester – in dem sie am Ende gar nichts mehr verstand – konnte sie in den Semesterferien zur Reha fahren.

Hier ging es endlich bergauf. Sie bekam professionelle Anleitung, ihr CI wurde Schritt für Schritt gut eingestellt und sie fand die nötige Balance zwischen CI und Hörgerät. Gegen Ende der Reha hörte sie mit CI und Hörgerät ungefähr gleich gut. Aber sie stellte auch fest, dass sie nun mit dem CI viel mehr Frequenzen hören konnte als mit dem Hörgerät, und genau das war es, was sie anfangs so gestört und verwirrt hatte.

Kompetenzen richtig nutzen

Doch trotz immer besseren Verstehens und größerer Lernerfolge gab Hannah ihr Medizinstudium auf und wechselte zu einem Studium der Biomedizinischen Technik. Sie wollte ihre gewonnene Kompetenz nutzen und zum Beruf machen: Menschen mit Hörbehinderungen, die sich für eine CI-Transplantation entscheiden, zu einem besseren Verstehen zu verhelfen. Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass Hören allein nicht reicht. Auf das Verstehen kommt es an, und die Qualität der CI-Einstellung ist entscheidend. Wenn man nicht in der Lage ist, Sprache differenziert zu hören, kann man auch nicht angeben, wie die CI-Einstellung verändert werden soll.

Hannah hat inzwischen etwa 100 Bewerbungen geschrieben. Sie erzählt mir, wie schwierig es ist, als Akademikerin einen Job als CI-Technikerin zu bekommen: „Die bekommen meist Hörgeräteakustiker. Aber die haben nicht die gleiche Kompetenz für diese Aufgabe.“ Dabei hat Hannah doppelte Kompetenz: durch ihr Studium und durch ihre eigene (Fast-)Gehörlosigkeit.

Gestern habe ich über Facebook eine Nachricht von Hannah bekommen. Sie hat sich in Würzburg auf eine Stelle als Klinische Ingenieurin beworben und ist auf dem Weg zum Probearbeiten. Wird es ihr gelingen zu überzeugen, dass sie als Frau, die selbst mit einer Hörbehinderung lebt, größere Kompetenzen hat, wenn es darum geht, Menschen in ähnlicher Situation zu betreuen und optimal zu versorgen? Ich bin optimistisch.

 

Linktipps:

Mehr zum Thema Inklusion am Arbeitsplatz bei der Aktion Mensch

Technik als Motor der Inklusion? Interview mit Enno Park zum Thema „Technische Innovationen in den Lebenswissenschaften“ beim Zukunftskongress „Inklusion 2025“

Der Fall – oder: Wenn man uns ließe! Blogbeitrag von Anastasia Umrik über Hürden und Pauschalisierungen bei der Jobsuche

Lehrer mit Hörbehinderung. Blogbeitrag von Margit Glasow über einen Sonderpädagogen mit Hörbehinderung

(Margit Glasow)

(K)ein Ehrenamt wie jedes andere

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Eine rote Muppets-Figur wird von zwei Kinderhänden gehalten.

Tod und Sterben sind ständige Begleiter bei Birgits freiwilliger Tätigkeit. Sie besucht für einen Kinderhospizdienst einen Jungen, der unheilbar krank ist. Die freiwillig Engagierte ist das beste Beispiel dafür, dass es auch bei einer schwierigen Aufgabe viel zu lachen geben kann – wenn die nötige Abgrenzung gelingt.

Am Anfang stand ein kleines Inserat in der Zeitung. Der Ambulante Kinder- und Jugendhospizdienst in der Region Hannover (AKHD) suchte ehrenamtliche Verstärkung. Birgit (51), die gelernte Bürokauffrau, hatte zuvor ihre Schwiegermutter bis zu deren Tod begleitet. Sie hatte viel Zeit mit ihr verbracht, geredet, vorgelesen, Mut gemacht. Der Tod war längst kein Tabu mehr in der Familie. Birgit ist überzeugt: „Ich habe mich viel mit dem Thema Sterben beschäftigt und einen guten Umgang damit gefunden.“ Gleichzeitig wusste sie aber auch, dass Kinder und Jugendliche sterben zu sehen eine viel schwierigere Aufgabe sein würde als die Betreuung der hochbetagten Schwiegermutter. Sie entschied sich für eine neue Herausforderung.

Seit inzwischen 3 ½ Jahren besucht sie nun den 13-jährigen Linus. Er wurde mit der seltenen Stoffwechselkrankheit Morbus Krabbe geboren. Inzwischen kann er nicht mehr gehen, auch nicht mehr sehen und sprechen und wird künstlich ernährt. Es ist ein Leben auf Abruf, das aber keineswegs nur aus Betroffenheit und Leid besteht. Birgit: „Linus hat unglaublich viel Humor und lacht viel.“

Wenn sie ihn – mal alle zwei Wochen, mal jede Woche – für drei bis vier Stunden besucht, sorgt sie mit kleinen Rollenspielen oder einem Vorlesenachmittag für Begeisterung. Sie schließt dort eine Lücke, wo die Kräfte seiner Mutter an ihre Grenzen stoßen.

Der AKHD Hannover hatte zuvor für eine solide Vorbereitung gesorgt. Birgit und die anderen freiwilligen Helfer wurden insgesamt 100 Stunden geschult – vor allem, was den Umgang mit den Kindern und Angehörigen angeht, aber auch rund um das Thema Tod und Sterben. Birgit: „Es ist ganz entscheidend, dass man lernt sich abzugrenzen und sich nicht zu überfordern. Auch wenn es drastisch klingt: Ein Nein gegenüber der Familie ist immer auch ein Ja zu sich selbst.“ Anfangs fiel ihr das gar nicht leicht, schließlich sind die Angehörigen in einer permanenten Ausnahmesituation und brauchen jede Unterstützung. Für Birgit war aber klar, dass Niemandem damit geholfen ist, wenn der Freiwillige von zu vielen Aufgaben überfordert wird und am Ende die Lust am Ehrenamt verliert.

Mit mehreren Angeboten unterstützt der AKHD Hannover seine Freiwilligen dabei, die Balance zwischen dem Engagement für Andere und der notwendigen Abgrenzung zu halten. Einmal im Monat findet ein verbindliches Gruppentreffen statt, dazu kommen vierteljährliche Supervisionen. Außerdem ist eine Koordinatorin jederzeit ansprechbar. Diese kümmert sich auch darum, dass die Freiwilligen in Familien eingesetzt werden, die wirklich zu ihnen passen.

Birgit jedenfalls fühlt sich gut gerüstet - für den Ehrenamts-Alltag ebenso wie für den Tag X, an dem Linus nicht mehr leben wird. Und so empfindet sie die Arbeit beim AKHD Hannover durch und durch als Bereicherung. Sie hat einen gelassenen Umgang mit dem schwierigen Thema Tod gefunden. Es ist in Familie und im Freundeskreis längst kein Tabu mehr. Davon profitieren alle.

Konkrete Hinweise zur Arbeit im Kinderhospizdienst finden Sie auf der Webseite des Deutschen Kinderhospiz-Vereins.

Möglichkeiten zum Engagement im Hospizdienst finden Sie in der Freiwilligendatenbank.

Der Beitrag erschien erstmals am 11.10.2013.

(Henrik Flor)

Behinderung versus Bedürfnis

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Eine große orangene Plüschmaus auf einem Stuhl, im Hintergrund ein Schaukelpferd

Wer hat hier eigentlich die besonderen Bedürfnisse? Mareice Kaiser hat zwei Töchter mit „Special Needs“ – mit und ohne Behinderung.

„Und, wie geht es Kaiserin 1?“, fragt die Kita-Mutter und tätschelt mir mitleidig den Arm. „Gut!“, flöte ich. „Wir hatten schon schlimmere Winter!“ Und bei euch so?, denke ich, spreche es aber nicht aus, denn ich möchte das Gespräch so schnell wie möglich beenden. Mitleid in dieser Form kann ich nicht leiden. Klar, sie meint es natürlich nur gut. Will bloß Mitgefühl zeigen für unsere ach so schwere Situation. Schließlich bin ich Mutter einer schwer behinderten Tochter, dahinter immer ein Seufz! gedacht. Ich habe ein Kind mit Special Needs, wie man so schön sagt. Ein Kind mit besonderen Bedürfnissen. Dabei ist das nur die halbe Wahrheit. Die ganze ist: Ich habe zwei Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Im Moment sind die Bedürfnisse meiner nicht behinderten Tochter viel besonderer als die meiner behinderten Tochter.

Große Kinderkrise

Kaiserin 2 bringt mich zurzeit täglich an meine Grenzen – und wenn nicht täglich, dann nächtlich (kleiner Scherz wegen Übermüdung). Während wir Kaiserin 1 morgens anziehen können, was wir hübsch finden, sie ihre Beine schon den Hosen oder Röcken entgegen streckt und das Klamottenprozedere sichtlich genießt, ist jedes Kleidungsstück von Kaiserin 2 ein Kampf. Außer es ist das Kleid mit den „Punten“. Ist es in der Wäsche: Drama! Sind die Winterschuhe in mühevoller Überzeugungsarbeit angezogen, müssen es doch die Gummistiefel sein. Oder umgekehrt.

Kaiserin 1 wird fröhlich grinsend im Kinderwagen zur Kita gefahren, während ihre Schwester nebenan nach ihrem Laufrad kräht. Bekommt sie ihren Willen, düst sie damit schnurstracks vors nächste Auto. Alle „Halt! Stopp!“-Rufe verklingen ungehört. Spätestens in der Kita droht dann das nächste Drama: Das Laufrad darf nicht mit rein. Große Kinderkrise.

Während Kaiserin 1 pürierte Kost aus einer Flasche trinktisst, bevorzugt ihre kleine Schwester Brotbelag. Und zwar nur den Belag. Ich schmiere also ein Brot mit Butter und Käse und bekomme das Brot wieder zurück, in kleinen Stückchen darf ich es nach dem Essen vom Küchenboden aufsammeln. Jedes Abendbrot (das übrigens ab 16 Uhr lautstark eingefordert wird!) das gleiche Spiel. Weiter geht‘s nach gefühlten 100 Puzzle-Runden zur nächsten Eltern-Nervenprobe: Baden. Kaiserin 1 liebt das warme Wasser. Vor allem, seitdem wir sie in einer Babywippe baden, die wir in die volle Badewanne stellen. Warmes Wasser plus Wippen ist für sie das Paradies. Sie gluckst und lächelt. Sobald Kaiserin 2 das Wort Badewanne hört, nimmt sie Reißaus. Kein Badespielzeug der Welt kann sie davon überzeugen, dass Baden gar nicht so schlecht ist. Der badende Elternteil braucht danach regelmäßig selbst eine Dusche.

Irgendwas ist immer falsch

Danach geht‘s ins Bett. Für Kaiserin 1 kein Problem. Sie hat zwar nach wie vor einen gestörten Tag-Nacht-Rhythmus, aber da wir um 21 Uhr von einer Krankenschwester oder einem Pfleger abgelöst werden, stört das den elterlichen Schlaf mittlerweile kaum noch. Abgesehen davon, dass sie viel Schlaf braucht und auch leicht in den Schlaf findet. Anders bei ihrer kleinen Schwester. Irgendwas ist immer falsch. Mal das Bett, mal der zu Bett bringende Elternteil. Dann fehlt die Maus, oder die Maus leuchtet nicht. Wenn die Maus leuchtet, soll sie es nicht. Wenn das Licht aus ist, soll es „annemacht“ werden. Und andersherum. So vergeht die Zeit, 20 Uhr, 21 Uhr, dann muss unbedingt nochmal gepuzzelt werden, 22 Uhr, und um 23 Uhr ein großer Schreikrampf. Die Maus muss dann Musik machen oder auch nicht. Je nach Kaiserin-2-Laune. Kaiserin 1 braucht keine Maus. Sie begnügt sich mit einem großen Stillkissen, an das sie sich anschmiegt. Sie hat immer gute Laune – außer sie wird geweckt, wenn sie lieber schlafen möchte. Oder wenn sie Schmerzen hat. Früher, als ihr kranker Darm noch nicht operiert war, da hatte sie oft Schmerzen. Heute lebt sie fröhlich durch den Tag, meckert nur mal kurz, wenn das Essen nicht schnell genug kommt oder die Luft im Bauch drückt. Sie schont die elterlichen Nerven – vielleicht, weil sie so lange beansprucht wurden durch ihren fragilen gesundheitlichen Zustand über Monate.

Special Needs hat meine nicht behinderte Tochter. Die Bedürfnisse meiner behinderten Tochter finde ich ziemlich normal.

 

Linktipps:

Sind Kinder mit Down-Syndrom etwas Besonderes? Blogbeitrag von Carina Kühne darüber, was es eigentlich bedeutet, „besonders“ zu sein

Behindert und Baby? Blogbeitrag von Marie Gronwald über den Kinderwunsch von Frauen mit Behinderung

Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Blogbeitrag von Eva Keller über Kinderbücher zum Thema Behinderung

Barbie im Rollstuhl? Blogbeitrag von Stefanie Wulff über Inklusion im Kinderzimmer

Ein kleines Mädchen läuft auf dem BürgersteigEin kleines Mädchen vor einer Kinderbadewanne

(Mareice Kaiser)

Eine ganz normale Liebesgeschichte

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Eine Frau im Rollstuhl und ein Mann sitzen auf der Veranda und blicken sich verliebt an.

Was bei den Brasilianern der Dia dos Namorados und bei den Chinesen das Qixi-Fest ist, ist bei uns der Valentinstag. Passend zum Tag der Liebenden erzählen wir die inklusive Liebesgeschichte von Katrin (20) und Michael (19) aus München. Die beiden kennen sich erst seit einem halben Jahr und trotzdem wissen beide: Das passt verdammt gut.

Vor kurzem hat er ihr in mühsamer Kleinstarbeit einen Stoffteddy genäht. Rot, mit weißen Fäden und großen Knopfaugen. Er hat von ihr einen kleinen 3D-Anhänger mit einem Foto von ihnen. Eine gemeinsam gebastelte Kette tragen beide mit sich. Wenn Michael und Katrin über ihre Beziehung sprechen, fragt man sich: Moment, die beiden sind doch erst seit einem halben Jahr zusammen, oder? Das klingt irgendwie deutlich länger. So innig und selbstverständlich. Dass dieser Eindruck schnell entsteht, liegt aber vermutlich daran, dass es den beiden selbst schon sehr viel länger vorkommt…

Nächtelange Telefonate

Kennengelernt haben sie sich im Internet, via Chat in einem sozialen Netzwerk. Warum genau Michael Katrin damals angesprochen hat, weiß er rückblickend gar nicht mehr ganz genau. „Ich fand ihr Bild ansprechend und wollte sie einfach kennenlernen.“ Also schrieb er sie an und die beiden kamen ins Gespräch. Dass Katrin aufgrund einer Muskelschwäche im E-Rollstuhl sitzt, hat sie damals direkt angesprochen. Für Michael war das gar kein Thema. „Ich fand sie als Menschen total interessant“, erzählt Michael, „und das ist für mich entscheidend.“ Zu Beginn war sich Katrin dennoch unsicher. Sie fragte nach einem Telefonat, um seine Absichten besser einschätzen zu können. Was folgte, waren nächtelange Telefonate. Obwohl Michael zu dem Zeitpunkt gerade seine Kochlehre begonnen hatte und meist 13 Stunden bei der Arbeit am Herd stand, nutzten sie die Nächte für ausführliche Gespräche. Relativ schnell war klar: Die beiden wollen sich treffen.

Die erste Begegnung hatten Katrin und Michael an einem See ganz in der Nähe ihres Wohnortes. „So schnell habe ich mich bislang noch nicht mit einem Mann getroffen, aber ich wollte herausfinden, was das mit Michael ist und wie er im direkten Kontakt mit meiner Behinderung umgeht.“ Der Anfang des Treffens verlief dann tatsächlich etwas holprig. Der Tisch an Katrins Rollstuhl irritierte ihn. „Wie soll ich sie am besten umarmen?“, schoss ihm durch den Kopf. Er entschied sich fürs Händeschütteln. Das wiederum irritierte Katrin. Je mehr die beiden aber miteinander sprachen und Zeit am See verbrachten, desto entspannter und schöner wurde die Situation. „Wir waren den ganzen Tag unterwegs und am Ende des Treffens war klar, dass wir uns wiedersehen wollen“, erzählt sie.

Seitdem sind die beiden ein Paar. Katrin wohnt bei ihren Eltern und Michael kommt an jedem Wochenende vorbei. Ihre Eltern hat Michael schon beim zweiten Mal kennengelernt. Auch das ging ziemlich schnell. Er verstand aber gut, dass ihren Eltern diese Sicherheit wichtig war. „Am Anfang war die Wohnsituation nicht ganz so leicht für uns, mittlerweile haben wir uns aber gut arrangiert. Da Michael mich an den Wochenenden bei allem unterstützt, können wir die Zeit weitestgehend zu zweit verbringen.“ Katrin ist wichtig, dass ihr Partner dabei natürlich nicht gleichzeitig wie ein Pfleger ist: „Klar, er hilft mir bei vielem, aber dadurch haben wir auch viel mehr Freiheiten und die Wochenenden quasi alleine für uns.“

Ein eingespieltes Team

In ihrer Freizeit sind die beiden viel unterwegs. Kino, Spaziergänge, Freunde treffen, Theater oder Shoppen. An dem See, an dem sie sich zum ersten Mal getroffen haben, haben die beiden mittlerweile eine spezielle Bank – „unsere Bank“. Da spazieren sie oft hin und genießen es einfach zu zweit unterwegs zu sein. Wenn die beiden voneinander erzählen, wird schnell klar: Das ist was Besonderes. „Michael ist kompromisslos für mich da. Er unterstützt mich mit einer Selbstverständlichkeit in allem – das ist Wahnsinn. Wir waren total schnell ein eingespieltes Team.“ Und auch Michael schwärmt: „Wir denken sehr ähnlich und können total lange Zeit aufeinander hocken, ohne dass wir uns auf die Nerven gehen. Außerdem ist Katrin sehr süß und hübsch.“ Beide gehen sehr offen miteinander um; reden über alles. Das ist für Katrin der Grund, warum ihre Beziehung so harmonisch ist. Auch Michael erzählt, dass die beiden noch keinen Streit hatten, weil sie alles besprechen und Fragen ausdiskutieren.

Ein paar Wochen nach Beginn der Beziehung hat Michael die Diagnose Epilepsie erhalten. Er hat seine Kochlehre abgebrochen und musste umziehen. Das war für beide keine leichte Zeit. Letztlich hat es die beiden aber noch mehr zusammengeschweißt. Da sind sie sich einig. Michael möchte nun ein FSJ in einer Kindertagesstätte machen und langfristig gerne als Erzieher in einer inklusiven Einrichtung arbeiten.

Was sie sich für ihre Beziehung wünschen? Einen normaleren Umgang der Gesellschaft damit. „Manchmal wird getuschelt und wir werden nach dem Motto ‚Der Hübsche und die Rollifahrerin angestarrt“, so Katrin. Auch Michael erzählt: „Entweder reagieren die Leute überfreundlich oder unfreundlich. Selten ganz normal.“ Aber genau das ist es, was sie toll fänden.

 

Linktipps:

Nicht nur gute Co-Piloten - Ein inklusives Liebespaar

Burger à la Inklusion - Mitarbeiter mit und ohne Behinderung arbeiten Hand in Hand

Als Duo stärker - Vier Paar mit und ohne Behinderung über ihren Alltag

 

Katrin und Michael gehen zusammen spazieren. Sie fährt mit ihrem E-RollstuhlKatrin und Michael sitzen in ihrem Wohnzimmer.Katrin und Michael lächeln in die KameraKatrin und Michael schauen sich verliebt in die Augen.

(Redaktion )

Unterwegs mit dem Barrierenräumkommando

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Die Fußgruppe der Aktion Mensch mit Schildern.

Rund 200.000 Besucher, über 4.700 Teilnehmer, davon 200 von der Aktion Mensch – das erste Mal war auch die Sozialorganisation beim bisher größten Rosenmontagszug in Bonn dabei. Das Motto: Barrierenräumkommando – hinkumme, erenkumme, klarkumme! Das Ziel: Auch die Karnevals-Welt inklusiver gestalten, denn: Jeder Jeck ist anders!

Mit einem Gardewagen und einer großen bunten inklusiven Fußtruppe, bestehend aus Mitarbeitern, deren Familien und Förderprojekten aus der Region, war die Soziallotterie unterwegs. Die Band„Jlöcks-Jonge“ (ihre Lieder wurden von einer Gebärdensprachdolmetscherin übersetzt) sorgte auf dem Wagen mit Karnevals-Liedern für die nötige Stimmung. Die „Barrierenräumer“ zeigten nicht nur, dass miteinander feiern unheimlich Spaß macht, sondern räumten symbolisch auch Barrieren weg, in Bauarbeiter-Kleidung und mit roten Helmen! Außerdem erfreuten sie die Besucher am Straßenrand mit allerhand Material: Unter anderem 88.000 Päckchen Weingummi, 20.000 Packungen gefüllt mit Schokolinsen, 6.500 Beutel Chips, 5.000 Trillerpfeifen und 1.000 Reflektorbänder – insgesamt rund 2.000 Kilogramm Kamelle konnten die Aktion Mensch-Beteiligten unter die jecken Leute bringen. Wie oft sie „Alaaf“ und "Kamelle" gerufen haben, konnte leider nicht gezählt werden ;)

Wie das alles genau aussah? Eine kleine Auswahl von Fotos gibt es in der Bildergalerie! Mehr Bilder finden Sie unter Facebook.

 

Linktipps:

Pressemitteilung: Jetzt kommt das Barrierenräumkommando

Gemeinsam jeck: Menschen. das Magazin über Düsseldorfer Karnevalisten, die die fünfte Jahreszeit ganz inklusiv feiern

Karneval inklusiv. Blogbeitrag von Ulli Steilen über Jecken mit Behinderung im Karneval

Strüßjer, Zöpfe, Pfauenfedern. Blogbeitrag von Bianca Pohlmann über das erste Dreigestirn des Eichhofs in Much

Rollstuhlkostüm: Werden Sie mit Rolli und DJ-Kostüm der Star jeder Faschings- und Kostümparty – Menschen. das Magazin sagt, wie es geht

Ein Straßenschild, auf dem Rosenmontag steht, im Hintergund Teilnehmer des Rosenmontagszug in Bonn.Die Fußgruppe der Aktion Mensch mit Schildern.Die Fußgruppe der Aktion Mensch.Die Fußgruppe der Aktion Mensch.

(Josephine Thiel)


Auf einen Abend in der Sushi-Bar

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Laure Gehlhaar und ihre zwei Freundinnen sitzen an einem Tisch in einer Sushi-Bar

Die Bloggerin Laura Gehlhaar fährt Rollstuhl. Ihre beiden besten Freundinnen nicht. Der Unterschied löst bei den Dreien nur ein unbekümmertes Schulterzucken aus. Was sie zusammenschweißt: Humor, Offenheit und eine Menge Abenteuerlust.

Es muss ja nicht immer Paris oder London sein. Düsseldorf? Düsseldorf! Drei junge Frauen haben sich beim Japaner in Friedrichshain verabredet, Berlins Feier-Bezirk und das Zuhause von Laura Gehlhaar, Bloggerin, Coach, Frohnatur und 32-Jährige. Zusammen mit ihren Freundinnen Anna (28) und Monique (27) will sie bald Urlaub machen. Wo, das wollen sie nun entscheiden. Ihr letzter Trip ging in den Osten, nach Riga. Könnte der nächste etwas weniger ausgefallen sein?

Der Sake steht schon auf dem Tisch und, ah, da kommt das Sushi. Laura hat schon zappelig Richtung Küche geschielt: „Hab so Hunger!“ Alle schlingen schnell ein paar Happen herunter. Doch bevor sie nun ans Kofferpacken denken, erst mal konkret nachgefragt: Drei Freundinnen, eine von ihnen sitzt im Rollstuhl – was macht das mit einer Freundschaft?

„Warum soll Lauras Behinderung ein Thema sein?“

Die drei sehen prima an diesem Abend aus, auf lockere Berliner Art. Geschminkt, aber nicht gestylt. Schick, aber natürlich. Sie sind guter Laune, aber auch für ernste Gespräche offen. Anna windet unsicher ihren Kopf. „Warum soll Lauras Behinderung ein Thema sein?“ Laura gleich toller Mensch gleich Freundin. So sieht sie das. Doch dann fallen ihr einige interessante Erfahrungen ein. „Wenn ich so überlege, fällt mir auf, dass mich das schon zum Nachdenken gebracht hat. Zum Beispiel zu sehen, wie andere Freunde damit umgehen. Die, die Laura nicht kennen. Die wollen oft einen Beweis dafür, warum ich mit Laura befreundet bin.“ Monique nickt heftig. „Dann bekommt man dafür eine Riesenanerkennung. Sie sagen: Das ist toll, dass du das machst“, erzählt sie. „Das ist schade, denn ich mache das ja nicht, um mein Gewissen zu beruhigen.“ Anna stimmt ihr zu: „Wir lieben uns wegen unserer Charaktere.“

Schön hört sich das an. Sehr klar. „Eine Behinderung ist wie ein Arschloch-Filter: Nur wer so eine Bodenständigkeit mitbringt, kann sich so freund- oder partnerschaftlich auf jemanden mit Behinderung einlassen.“ Das sagt jetzt Laura. Sie nennt die Dinge gern beim Namen.

Feiern in Düsseldorf

Anna kommt aus Donaueschingen, Monique aus Zwickau und Laura aus Düsseldorf. Düsseldorf! Lauras Heimat und vielleicht ein Reiseziel? Laura erzählt, dass sie dort als Nächstes mit ihren Freundinnen hinfahren will. Dort gibt es zwar keinen Louvre und keinen Big Ben, aber Familienmitglieder von Freundinnen sind ja auch wichtige Sehenswürdigkeiten. Laura möchte, dass die beiden Freundinnen ihre Familie treffen. Sie sind sofort einverstanden. Monique hat sie zwar schon kennengelernt, aber Anna kennt weder Lauras Eltern noch ihre beiden Brüder. Und Düsseldorf hat ja noch mehr zu bieten! Über ihre letzten Sushi-Krümel gebeugt schwärmen sie vom Japan-Tag, den die japanische Gemeinde in Düsseldorf jeden Frühling ausrichtet. Sie wollen sich unters Volk mischen und mitfeiern. „Ich hab doch diese Perücke, wo die Haare bis zum Arsch gehen“, freut sich Laura. Zur Übernachtung wollen sie in ein neu eröffnetes Fünf-Sterne-Hotel gehen. „Natürlich in die Luxus-Suite!“ Monique weiß, was ihnen zusteht. Naja, zustehen sollte! Das letzte Mal mussten sie sich noch etwas abmühen, weil bei ihrer Reise nach Riga Lauras Rollstuhl nicht mit ins Flugzeug kam. Sie liehen sich vor Ort ein unbequemes Gerät aus und stolperten mehr durch die Straßen, als dass sie schlenderten. „Das hat uns zusammengeschweißt“, erinnert sich Monique.

Von da an waren sie ein Trio

Lange waren sie da noch nicht befreundet. Laura stürzte vor drei Jahren in ihrer Wohnung und musste einige Tage im Bett verbringen. Sie kannte Anna aus dem Psychologie-Studium und Monique aus einem Praktikum in einer Werbeagentur, aber zu dritt hatten sie noch nie etwas unternommen. Anna kam nach dem Sturz zu Laura, um sie tagsüber zu unterstützen. Monique löste sie für die Nacht ab. Von da an waren sie ein Trio.

Der Sake ist ausgetrunken, das Sushi verspeist. Die drei machen sich auf den Heimweg. Laura verschwindet in ihrer Erdgeschosswohnung, Monique und Anna gehen Richtung U-Bahn. Küsschen zum Abschied. Freundschaft kann so einfach sein.

 

Linktipps:

Da geht noch was! Freundschaften zwischen Jugendlichen mit und ohne Behinderung sind selten – „Menschen. das Magazin“ sagt, wie sich das ändern lässt

Darf man Jungs doof finden, auch wenn sie im Rollstuhl sitzen? Interview mit Jannis und Antonia, für deren Freundschaft das Handicap des einen so gut wie keine Rolle spielt

Wenn ich feiern gehe ... Blogbeitrag von Luisa Eichler über Feiern mit Freunden und Berührungsängste von Jugendlichen gegenüber Rollstuhlfahrern

Lauras Freundinnen helfen ihr im Rollstuhl über eine StufeLaura Gehlhaar und ihre Freundinnen unterhalten sich in der KücheDie drei Freundinnen blödeln in der Küche herum und schneiden Grimassen

(Wiebke Schönherr)

Nachts an der Sonnenallee

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In einem braunen Becher steckt eine Servierte, auf der Untertasse liegt ein Stück Kuchen.

Jeden Freitagabend sorgen die Freiwilligen eines Berliner Nachtcafés dafür, dass Obdachlose eine warme Mahlzeit und einen Schlafplatz bekommen. Tatsächlich wird an dem gemeinsamen Abend noch einiges mehr geboten als volle Teller und Isomatten.

Jetzt hat der Winter Berlin mit voller Wucht erwischt. Temperaturen deutlich unter Null, dazu Schneegriesel. Es ist Freitagabend und vor der katholischen St. Richard Gemeinde in Berlin-Neukölln suchen gut drei Dutzend Frauen und Männer Schutz vor dem schneidenden Wind. Dann öffnen sich die Türen des wöchentlichen Nachtcafés für Obdachlose. Im Gemeindesaal begrüßen Elisabeth, Lissy, Hannah, Mirjana, Bernd und vier weitere Engagierte jeden Einzelnen mit Handschlag. Für viele der Obdachlosen ist es eine Erfahrung, die sie schon lange nicht mehr gemacht haben.

Im Nachtcafé sind ein Dutzend Tische aufgebaut, an denen sich die Gäste niederlassen. Zur Begrüßung bringen die Freiwilligen heißen Kakao und Kaffee an die Tische. Es dauert nicht lange, da tauen die Gäste auf, kommen ins Gespräch miteinander, lachen gemeinsam oder teilen ihre Sorgen. Elisabeth, Hannah und die anderen Engagierten sind mit Thermoskannen zwischen den Tischen unterwegs, schenken nach und erfahren die Neuigkeiten der letzten Woche. Man kennt sich. Viele der Gäste kommen in der kalten Jahreszeit jeden Freitag.

Lissy Eichert gehört zum Leitungsteam des Netzwerks Katholische Kirchen Nord-Neukölln, die das übergemeindliche Projekt betreiben, und begrüßt alle. Sie gibt wie jede Woche einen kurzen Denkanstoß, spricht ein gemeinsames Gebet und dann folgt ein kräftiger Applaus für die freiwilligen Helfer.

Es ist eine bunte Mischung von Leuten, die sich im Nachtcafé zusammengefunden hat. Ganz normale Menschen, die auf der Straße kaum jemandem auffallen würden. Darunter Deutsche, Russen, Balten... Die 67-jährige Elisabeth Cieplik, die das Ehrenamtlichen-Team leitet, erzählt: „Es kommen genauso Obdachlose zu uns wie auch Menschen, die noch eine Wohnung haben, aber von Armut betroffen sind." Otto ist einer von ihnen. Er ist inzwischen Rentner und könnte mit dem grauen Bürstenschnitt und Bismarck-Schnauzer auch als Biker durchgehen. Er war arbeitslos, kam mit der Miete in Rückstand und verlor schließlich seine Wohnung. Jetzt lebt er von 600 Euro Rente. „Inzwischen bin ich ganz froh, keine Wohnung mehr zu haben", meint er. „Bei den Mietpreisen hat man nur Ärger mit den Ämtern, wenn die was zuschießen sollen." Er hat viele Bekannte, bei denen er im Winter unterkommen kann, sonst setzt er sich in die S-Bahn und fährt bis zur Endhaltestelle und zurück. 

Als Mirjana Otto fragt, ob er noch mehr Kakao möchte, bestellt der mit einem breiten Grinsen ein Pils bei ihr. Es ist ein Running Gag, der jedes Mal wieder funktioniert. Die Studentin hat im Internet nach Engagement-Möglichkeiten recherchiert und ist dort auf das Nachtcafé gestoßen. Zusammen mit ihrem Freund Bernd ist sie jetzt mit dabei. Nicht immer, aber immer, wenn es passt. Wenn gerade nichts zu tun ist, setzen sich die Freiwilligen für einen Moment an einen der Tische und kommen ins Gespräch mit den Gästen. Dort wo es sprachliche Barrieren gibt, versucht man es mit Händen und Füßen.

Dann ist der Leberkäse mit Kartoffeln und Kohl fertig. Die Freiwilligen haben jetzt alle Hände voll zu tun, die gefüllten Teller aus der Küche an die Tische zu bringen. Nachschlag gibt es, bis jeder satt ist. Auch das gehört zu dem Besonderen an diesem Abend – es gibt keine Konkurrenz und Rivalität unter den Gästen. Jeder weiß, dass er satt wird und wenn er will, einen Schlafplatz hat. Von dem Stress und Streitereien auf der Straße ist hier nichts zu spüren.

Seit 15 Jahren gibt es das Nachtcafé inzwischen. Elisabeth Cieplik plant jeden Abend ganz genau. Sie verwaltet die Tabelle, in der alle Schichten verzeichnet sind. Jeder der rund 50 Engagierten pro Saison trägt sich ein, wann er Zeit und Lust hat. Daneben verwaltet die Rentnerin das Budget und schlägt schon mal einen saftigen Rabatt beim Kauf neuer Schlafsäcke heraus.

Gegen halb zehn gehen die Gäste, die anderweitig einen Schlafplatz organisiert haben. Es bleiben 16 Männer und Frauen, die hinter einem Vorhang Isomatten und Bettzeug finden. Die Freiwilligen bilden einen Kreis und jeder erzählt kurz, welche besondere Begegnung er oder sie an dem Abend hatte. Dann übernimmt auch schon die Nachtschicht. Thilo, der 70-Jährige mit dem Pferdeschwanz ist nun am Start, zusammen mit Lukas, dem Enkel von Elisabeth Cieplik. Die beiden Männer ziehen sich Gummihandschuhe über und machen sich an den Abwasch. Dann bereiten sie das Frühstück vor und legen sich noch ein paar Stunden hin, bis ab sechs Uhr das Frühstück beginnt.

Was dieser Abend für die Gäste bedeutet? Otto sagt es so: „Es ist nicht nur das warme Essen. Das Reden mit den Anderen ist genauso wichtig. Das ist wie Ausgehen."

 

Eine Kultur des Mitgestaltens, in der sich jede Bürgerin und jeder Bürger als Akteur der Gemeinschaft erlebt, ist ein Grundpfeiler für eine inklusive Gesellschaft. Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch unabhängig von individuellen Fähigkeiten die Möglichkeit hat, gleichberechtigt an allen gesellschaftlichen Prozessen teilzuhaben und sie mit zu gestalten. Über 16.000 Angebote für freiwilliges Engagement für Menschen mit und ohne Behinderung bietet die Freiwilligendatenbank der Aktion Mensch.

Weitere Ideen für inklusives Engagement finden Sie in der Freiwilligendatenbank.

(Henrik Flor)

Schon verliebt oder noch verunsichert?

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Eine Computertastatur mit einem rosa Herz auf einer Taste

Jung, aufgeschlossen und auf der Suche nach dem richtigen Partner: Wahlberlinerin Anna hat im „realen Leben“ lange Zeit niemanden für eine Beziehung gefunden. Bringen ihr inklusive Partnerbörsen im Internet mehr Glück?

Abends in der Kneipe. Ich sehe was, was Du nicht siehst: Dich. Du bist für mich a) eine attraktive Frau, b) jemand im Rollstuhl oder c) eine attraktive Frau im Rollstuhl. Was glaubst du?

Einen Partner oder eine Partnerin kennenzulernen, kann schwierig sein. Man kennt den anderen noch nicht und weiß nicht, was er oder sie denkt und fühlt. Eine sichtbare Behinderung verunsichert viele dann noch zusätzlich.

„Ich dachte lange, mit meiner Behinderung wird es nicht einfach, einen Mann zu finden.“ Anna ist Wahlberlinerin, 32 Jahre alt und eher der extrovertierte Typ: laut denken, viel lachen und gerne erzählen. „Aber das stimmt so nicht. Ich glaube, es ist in der heutigen Zeit für alle schwierig. Vor allem wenn man so hohe Ansprüche hat wie ich.“ Die Partnersuche: ein Lottospiel.

Ursprünglich kommt sie aus der Nähe von Paderborn, für eine Liebe zog sie in die Hauptstadt. Das ist schon ein paar Jahre her. Zu einer Zeit, zu der es schon Online-Portale für die Partnersuche gab. Denn im „realen Leben“ hat Anna niemanden gefunden. Sie sitzt im Rollstuhl und dachte oft, dass sich deswegen kaum jemand für sie interessiert. Bei ihr ist da immer die Frage im Kopf: „Glotzt er mich jetzt an wegen meiner Behinderung oder weil er mich attraktiv findet? Das ist wirklich schwer zu unterscheiden“, erzählt sie.

Wie soll ich dieses Thema ansprechen: den Rollstuhl?

Aber es muss doch irgendwie klappen, dem richtigen Mann zu begegnen. Also geht Anna online. Da findet sie: Partnerportale für alle, wie Finya beispielsweise. Oder Handicap-Love, eine Website, die sich hauptsächlich an Singles richtet, die eine Behinderung haben. Und „Gleichklang“, das Portal für Menschen, die sozial und ökologisch, also irgendwie alternativ, orientiert, sind.

Anna füllt ihre Steckbriefe aus, zuallererst bei Finya, und kriegt einige Zuschriften. Anfangs musste sie nachdenken, wie sie den Rollstuhl anspricht. „Ich hab mir überlegt: Riskierst du, keine Post zu bekommen oder soll ich das vielleicht nicht gleich reinschreiben?“ Sie entscheidet sich für die direkte Variante, stellt auch ein Foto rein, wie sie im Rollstuhl sitzt und kriegt oft nach dem ersten „Hallo“ Fragen, die ihr eindeutig zu intim sind: Wie ist das denn bei Dir mit dem Sex? „Man würde doch so etwas auch nicht einen Menschen ohne Behinderung fragen!“ Anna ist irritiert und Finya schnell Vergangenheit.

Sie probiert Handicap-Love aus. Auch hier sind ihr viele Zuschriften suspekt. Sie bekommt wieder merkwürdige Fragen gestellt. Aber sie merkt, dass auch viele Männer ohne Behinderung in dem Portal unterwegs sind. Das findet sie gut. „Ich wollte lange Zeit nur einen Mann ohne Behinderung, ich bin ja selbst behindert.“ Mit drei verschiedenen Männern, die sie über das Portal kennenlernt, geht sie im Laufe der Jahre eine Beziehung ein. Niemand für die Ewigkeit ist dabei.

„Ich habe mich ziemlich ausgetobt“

Die Jahre gehen ins Land, das Allein-Sein geht mit. Nur nicht aufgeben. Männer kennenlernen macht ja auch Spaß. „Ich habe mich da ziemlich ausgetobt!“, schaut Anna zurück. Dann registriert sie sich bei Gleichklang. Sie freut sich, dass sie dort sowohl Männer als auch Frauen suchen kann und sich nicht für ein Geschlecht entscheiden muss.

Und jeder, der sich dort anmeldet, wird gefragt, ob er oder sie offen ist für eine Beziehung mit jemandem, der eine Behinderung hat. Ein Drittel der Registrierten geben dort laut Betreiber der Website ein „Ja“ an, von aktuell rund 15.500 Angemeldeten. Anders als bei Finya und Handicap-Love stöbern die Singles dort nicht durch die Profile der anderen Suchenden, sondern es werden dort Partner nach Persönlichkeitsmerkmalen, Wertvorstellungen und individuellen Präferenzen vorgeschlagen. Anna fühlt sich wohl. „Das ist alles ziemlich entspannt. Ich habe dort noch keine komische Nachricht bekommen.“

Insgesamt verliebt sich gut jeder dritte Angemeldete über die Website, das haben die Betreiber von Gleichklang herausgefunden. Kürzlich schrieb eine Userin: „Ich bin erst seit dem 21. Oktober Mitglied bei Gleichklang, habe am 22.10. die ersten Partnervorschläge erhalten und bin am selben Tag noch mit einem Mann in Kontakt gekommen, mit dem ich seit heute zusammen bin! Es hat sofort zwischen uns gefunkt. Ich bin blind, und der Mann, in den ich nun verliebt bin, hat selbst kein Handicap.“

Auch Anna klickt sich durch ihre Vorschläge durch. Mit einem von ihnen hat sie sich vergangenen Sommer im Berliner Tiergarten verabredet. „Netter Typ“, sagt sie. Nur Anna, die Lebendige, traf dort auf jemanden, der gerne ein langsameres Tempo schiebt. Es hat nicht gefunkt. Wann sie wieder offen ist, um noch jemanden über ein Internet-Portal zu treffen, das weiß sie gerade nicht. Denn Anna hat sich kürzlich verliebt.

 

Linktipps:

App ins Paradies: Kübra und Christian, die Moderatoren von JAM!, testen die beliebte Dating-App Tinder

Partnersuche inklusiv: Ein Experiment. Blogbeitrag von Anastasia Umrik über Partnersuche im Internet als Mensch mit Behinderung

Das größte Handicap. Gespräch von Petra Strack und Raúl Krauthausen über Liebe und Partnerschaft von Menschen mit Behinderung

Beziehungsbarrieren. Blogbeitrag von Petra Strack über das „inklusive Paar“

(Wiebke Schönherr)

"Kamera läuft!" - Die Aktion Mensch als Drehort

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Rudi Cerne und Armin von Buttlar lachen sich an, eien Frau hält den beiden einen Zettel hin, im Hintergrund ist das Aktion Mensch-Logo zu sehen.

Die Geschäftsstelle der Aktion Mensch in Bonn im Ausnahme-, oder besser „Aufnahme“-Zustand: Sie ist heute Abend Location der wöchentlichen Ziehungssendung der Aktion Mensch-Lotterie um 19:28 Uhr im ZDF. Es ist eine Spezial-Sendung, in der Rudi Cerne den Aktion Mensch-Vorstand Armin von Buttlar zu dem neuen Glücks-Los interviewt.

Es ist 12:30 Uhr. Mittagszeit. Normalerweise herrscht zu dieser Zeit in der Empfangshalle der Aktion Mensch „Durchlauf-Verkehr“: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zur Kantine gehen, frische Luft schnappen oder sich die Beine vertreten wollen. Diesmal müssen sie den Umweg durch den Hinterhof nehmen, denn die Aktion Mensch-Empfangshalle ist gerade Drehort. Vier Scheinwerfer werden an der Decke der Empfangshalle befestigt, ein weiterer steht mitten im Raum, Kabel sind am Boden mit Tape befestigt und Make-up steht auf dem Empfangstresen. Rudi Cerne und Armin von Buttlar machen eine Stellprobe. Ihre Stimmen werden über die Tonangel, einem Mikrofon an einem Stab, über den Köpfen eingefangen: „Hallo und guten Abend!“ Es wird eine Sendung der „5 Sterne-Gewinner“ gedreht, die heute Abend um 19:28 Uhr ausgestrahlt wird.

Neues Los, neue Farbe, neuer Name

Normalerweise besucht Rudi Cerne für die Ziehungssendungen am Sonntagabend im ZDF Förderprojekte in ganz Deutschland, spricht mit den Beteiligten und nimmt an Freizeitaktivitäten teil. Diesmal aber ist er in die Geschäftsstelle der Aktion Mensch gekommen und interviewt den Vorstand der Aktion Mensch, Armin von Buttlar. Denn heute wird es eine Spezial-Sendung geben: Das neue Los der Aktion Mensch, „Mein Glücks-Los“, wird vorgestellt.

Es wird die letzte Sendung in dem alten Design sein und die letzte, die den Namen „5 Sterne-Gewinner“ trägt. Ab dem 8. März wird die Sendung in frischen, grünen Glanz erstrahlen und „Aktion Mensch-Gewinner“ heißen. Moderator Rudi Cerne und die Präsentation der Förderprojekte bleiben aber feste Bestandteile der Sendung, auch die Sendezeit (Sonntag, 19:28 Uhr, ZDF) bleibt unverändert.

 

Linktipps:

Jetzt mitmachen und das Glücks-Los online bestellen

Erklärfilm zum Glücks-Los

 

Eine Kamer filmt Armin von Buttlar, Rudi Cerne und eine blonde Frau halten ihm einen Zettel mit seinem Text hin. Rudi Cerne hält das Glücks-Los in die Kamera. Im Hintergrund sieht man das Logo der Aktion Mensch groß an der Wand.Armin von Buttlar und Rudi Cerne halten das Glücks-Los in die Kamera.

(Katharina Hovestädt)

Liebenswert, selbstbestimmt und ein bisschen bekloppt

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Annette, Phlip und Marion liegen sich lachend in den Armen.

Netti, Marion und Philip leben zusammen in einer Wohngemeinschaft in Düsseldorf. Alle drei sitzen im Rollstuhl. Sie sind eine ganz normale WG mit Partys, Kochabenden und Aufräum-Problemen.

Im Wohnzimmer der WG hängt ein Bild in einem weißen Bilderrahmen an der Wand. Es ist das Selfie von gestern Abend, auf dem drei grinsende Gesichter zusehen sind. Philip ist in der Mitte, links und rechts im Arm hält er „seine beiden Mädels“: Netti und Marion. „Gestern hatten wir mal wieder einfach Spaß“, lacht Marion. Philip und Netti fangen an zu kichern. Jeder Besucher merkt nach kurzer Zeit, dass die Drei sich kennen und sich einfach gut verstehen. Er erkennt es daran, wie die drei miteinander umgehen, sich anschauen und Witze übereinander machen.

Viele gemeinsame Erlebnisse

„Ich bin der Neue“, sagt Philip lachend. Er ist „erst“ vor drei Jahren in die Wohnung gezogen, Netti und Marion leben schon seit neun Jahren unter einem Dach. In den Jahren haben sie schon viel erlebt, deshalb können die Drei stundenlang von ihren verrückten Geschichten erzählen. Zum Beispiel als sie abends nach ein paar Bier zu viel die E-Rollstühle nicht mehr richtig steuern konnten und von ihren Assistenten nach Hause geschoben werden mussten. Oder von Flirts, die mit spontanen Helfern bei der waghalsigen Nutzung einer Rolltreppe entstehen können: „Das ist gar nicht so einfach, du hast nur ein paar Minuten, um die Telefonnummer zu bekommen“.

Wie in vielen WGs ist auch bei den Dreien die Küche ein wichtiger Ort. Wenn Netti kocht, dann kocht sie mit „Feuerwerk“, weil es so spritzt, und wenn Philip den Kochlöffel schwingt, dann schmeckt zwar das Essen, aber mit dem Aufräumen hat er es nicht so. „Und Philip, darf man nicht zum Einkaufen schicken“, sagt Marion, „Er sollte letztens Mehl und Apfelmus kaufen und kam mit einer Ananas zurück.“ Immerhin hat Philip zur Wiedergutmachung aus den Äpfeln aus dem Vorratsschrank selbstgemachtes Apfelmus gezaubert. Es ist eine ganz normale WG, vielleicht mit der Ausnahme, dass eine 24-Stunden-Assistenz vor Ort ist.

Danke für die „Kopfnüsse“

Gerade für Netti hat diese Wohngemeinschaft nicht nur in Bezug auf Freundschaft und eigenständiges Wohnen viel gebracht. Sie traut sich trotz ihrer Sprachbehinderung jetzt viel mehr zu sprechen und übt immer deutlicher zu formulieren. Ihre Mitbewohner verstehen sie eigentlich immer, helfen ihr beim Sprechen mit anderen und geben ihr wenn nötig auch mal sogenannte „Kopfnüsse“. Eine „Kopfnuss“ nennt es Netti, wenn ihre Mitbewohner und Betreuer sie auch mal auf etwas harschere Weise ermuntern zu sprechen, obwohl sie gerade Angst hat, nicht verstanden zu werden. Auch im Lesen und Schreiben wird sie immer besser. Jetzt schreibt sie regelmäßig Mails und hat bei Facebook ein eigenes Profil.

Blog, Tanz und Kunst

Abends zusammen Raclette machen, ins Kino gehen (auch wenn Netti fast immer während des Films einschläft) oder eine Party schmeißen – Netti, Marion und Philip lieben gemeinsame Unternehmungen. Aber natürlich hat jeder auch eigene Interessen und Hobbies. Philip schreibt zum Beispiel einen Blog „RolliNavi“, in dem er über Barrierefreiheit und Hindernisse in verschiedenen Städten Deutschlands berichtet. Zur Recherche ist er oft unterwegs. Marion tanzt mit Leidenschaft in einer inklusiven Tanzgruppe. Eine Karriere als Tänzerin wäre ein Traum. Netti liebt es nachts, wenn die anderen schlafen, in ihrem Atelier im Keller bei lauter Musik zu malen. Sie drückt durch ihre Bilder ihre Gefühle aus und sie hat auch schon einige ihrer Werke verkauft.

Wer möchte einziehen?

Jetzt wird ein viertes Mitglied für die barrierefreie Wohngemeinschaft gesucht, denn die vorherige Bewohnerin ist in eine eigene Wohnung gezogen. Die Wohnung der WG wird von den ISB ambulante Dienste gGmbH gestellt, deshalb muss der neue Mitbewohner jemand mit einer Behinderung sein. Wichtiger ist aber etwas anderes: „Der oder die Neue muss auf jeden Fall genauso bekloppt sein wie wir“, meint Marion.

Bewerben könnt ihr euch unter der Mailadresse: selbstbestimmtewg@gmx.de

 

Die Aktion Mensch hat den Umbau der Wohnungen der ISB ambulante Dienste gGmbH zur Steigerung der Barriefreiheit mit 168.462 Euro gefördert.

 

Linktipps:

Blog von Philip "RolliNavi"

Webseite von Annette

Auf einen Abend in der Sushi-Bar - Eine besonders enge Freundschaft

Nicht nur gute Co-Piloten - Ein inklusives Liebespaar

Eine ganz normale Liebesgeschichte - Ein inklusives Liebespaar

Burger à la Inklusion - Mitarbeiter mit und ohne Behinderung arbeiten Hand in Hand

 

Annette und Marion berühren sich an den Händen und lachen.Marion deckt den Tisch. Sie verteilt gerade Messer auf den Plätzen.Phlip lächelt in die Kamera. Im Vordergrund sieht man unscharf Marion und im Hintergund ist Annette unscharf zu erkennen.Annette sitzt am Tisch, vor ihr steht eine Tasse. Sie lacht.Annette hat Philip spaßeshalber im Schitzkasten und lächelt in die Kamera.Philip hält Annette und Marion im Arm. Über seine Schulter schaut die Bloggerin Katharina.Philip und Annette lachen. Phlip hat ein Dessert in der Hand.Annette bei der Arbeit in ihrem Atelier.

(Katharina Hovestädt)

Tanzende Herzen

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Zwei Fotos: Mareice Kaiser sitzt vor ihrem Laptop, Anastasia Umrik in ihrem Rollstuhl

Mareice Kaiser und Anastasia Umrik lernen sich online kennen und schätzen. Als sie sich dann offline treffen, fühlt sich das direkt richtig an: wie eine langjährige Freundschaft eben. Im Blog beschreiben beide ihre erste Begegnung.Begegnung mit... Anastasia UmrikVon Mareice Kaiser

Kennengelernt habe ich Anastasia im Internet. Ich hatte gerade meinen Blog Kaiserinnenreich gestartet, auf dem ich aus meinem Leben als Mutter von zwei Töchtern – mit und ohne Behinderung – erzähle. Anastasia war darauf aufmerksam geworden. Als Kopf hinter dem Projekt anderStark fragte sie mich, ob ich Lust hätte, als Autorin für ihren Gemeinschaftsblog zu schreiben. Anastasia hat mir gleich gefallen. Es war Liebe auf den ersten Klick. Ihr Einsatz dafür, zu zeigen, dass behinderte Menschen ganz selbstverständlich auch attraktiv und schön sind, imponierte mir. Ihr Charme kam direkt bei mir an. Schon per Mail entwickelte sich zwischen uns schnell eine digitale Freundschaft. Wenn Anastasia Texte schrieb, war ich jedes Mal begeistert – ihr ging es andersherum zum Glück ähnlich. Ich schrieb also die ersten Beiträge für Anastasias Blog anderStark, den allerersten über die Schönheit meiner behinderten Tochter.

Wie Freundinnen das machen

Ende November trafen wir uns dann endlich das erste Mal im „echten Leben“: Die Sozialhelden hatten zur Jubiläumsparty eingeladen, es lag Schnee auf Berlins Straßen und Anastasia kam aus Hamburg, um mit uns zu feiern. Als ich auf dem Weg zur Location in Berlin Mitte im Taxi saß, tauschten Anastasia und ich bereits aufgeregte SMS aus: „Bist Du schon da?“, fragte sie, und ich antwortete: „In fünf Minuten.“ Vorher hatten wir bereits besprochen, was wir anziehen. Damit auch keine von uns over- oder underdressed erscheint. Wie Freundinnen das halt machen. Schon zu diesem Zeitpunkt war klar, dass wir die gleichen Interessen haben: Stil, Schuhe, Ironie und Inklusion.

Als ich aus dem Taxi ausstieg, sah ich Anastasia schon von weitem. Ohne nachzudenken, lief ich zu ihr über die Straße und umarmte sie herzlich. Es war gleich, als würden wir uns nach langer Zeit wiedersehen – dabei war es unser erstes Treffen. Wir hatten sofort Gesprächsthemen und gingen gemeinsam zum Veranstaltungsort. Meine einzige Unsicherheit bezog sich auf ihre Assistentin, denn ich wollte sie nicht komplett ignorieren, ihr aber auch nicht zu viel Raum geben. Vorab hatte ich mir darüber gar keine Gedanken gemacht, obwohl ich wusste, dass Anastasia wegen einer Muskelerkrankung 24 Stunden am Tag auf Assistenz angewiesen ist. Meine Unsicherheit der Assistentin gegenüber verflog aber schnell, weil sie sich selbst nach der Begrüßung im Hintergrund hielt und intuitiv nur auftauchte, wenn Anastasia ihre Unterstützung brauchte.

Kichernd wie kleine Kinder

„Wein?“, fragte ich Anastasia, und sie nickte lächelnd. Wenig später hatte ich ein Glas mit Rotwein in der Hand und das für Anastasia stand auf ihrem Rollstuhltisch. Doch damit wir auf unser erstes Treffen anstoßen konnten, fehlte noch etwas. Eine Sache hatte ich übersehen: Damit Anastasia trinken konnte, benötigte sie einen längeren Strohhalm. Nachdem die Kellnerin ihn brachte, begann auch schon die Veranstaltung. Anastasia und ich stießen mit unseren Gläsern an, tranken Wein und verhielten uns wie die beiden Opas der Muppet Show: Im Hintergrund beobachtend und blödelnd. Wir schrieben uns gegenseitig Nachrichten per Whatsapp, um das Programm nicht zu stören, und kicherten wie kleine Kinder über die Witze der anderen.

Ein paar Tage später trafen wir uns wieder auf dem Zukunftskongress der Aktion Mensch. Mittlerweile kannten wir unsere „Special Needs“: Beim Kaffeetrinken bin ich auf laktosefreie Milch angewiesen, Anastasia beim Wein trinken auf einen Strohhalm. Der Umgang mit ihrer Assistentin war selbstverständlich geworden. Anastasia und ich suchten uns die Programmpunkte danach aus, gemeinsam im Publikum sitzen zu können. Wir lachten viel und freuten uns über unsere Begegnung. Unsere digitale Freundschaft war in der Realität angekommen.

Begegnung mit... Mareice KaiserVon Anastasia Umrik

Ich kenne viele Menschen. So viele, dass ich mich eher an die Situationen mit ihnen, als an ihre Namen erinnern kann. Manchmal verwechsle ich Namen und Geschichten, Telefonnummern mit Postleitzahlen, aber im Grunde weiß ich immer: Du bist cool oder du bist ... naja, sagen wir mal, du hast eine andere Art von Coolness.

Bei Mareice war alles anders. Ich wusste ihren Namen, kannte ihre Geschichte und ihre Telefonnummer fast auswendig.

„Mehr davon!“

Ihr kennt das: Man sieht jemanden (manchmal auch nur online), liest etwas von seinen oder ihren Gedanken und denkt: „Wow! Ich brauche mehr davon!“ So war das auch bei Mareice und mir. Ich habe sie auf Facebook entdeckt und habe erst nach und nach verstanden, wer sie ist, wie sie tickt, worüber sie lacht und wann sie vor Wut mit den Füßen stampft. Eine junge, schöne, sehr kluge Mama, die zwei kleine Mädchen hat – eins davon mit einer Behinderung. Wie meine Mama. Mareice kämpft unermüdlich für die Rechte ihrer Kleinen, sie will, dass bald alles besser wird – für alle. Wie meine Mama – damals. Nur ist Mareice jünger, und ich könnte auch die Mama ihrer Mädchen sein; es berührte mich, ich hatte oft beim Lesen ihrer Texte in ihrem Blog „Kaiserinnenreich“ Tränen in den Augen.

Erstes Date

Im Winter 2014 auf dem Weg zur Jubiläumsfeier der Sozialhelden in Berlin, hat sich das ein bisschen wie ein erstes Date angefühlt: Werden wir uns offline auch mögen? Wie spricht sie? Was wird sie tragen? Wir lieben beide Mode, das wussten wir bereits.

„Bist du schon da?“, schrieb ich via Whatsapp.
„In 10 Minuten. Freu' mich!“

„Anastasiaaaaaaaaaa!!!!“

Ich drehte mich um und strahlte. Mareice umarmte mich  – ich sie im Rahmen meiner Möglichkeiten auch –, und es war, als würden wir uns ewig kennen. Wir kannten uns ja auch schon ewig, nur eben nicht real. Es fühlte sich richtig an. Wir waren zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.

Intensive Begegnung

Eine intensive Begegnung ist für mich unabhängig vom Zeit und Raum, Alter, Hautfarbe oder gar einer Behinderung. Schaut euch doch mal in die Augen, sagt zwei nette Sätze zu einander, und wenn es funkt, dann lasst eure Herzen zusammen tanzen.

„Komm, wir gehen tanzen, Mareice!“

Linktipps:

Auf einen Abend in der Sushi-Bar. Blogbeitrag von Wiebke Schönherr über ein Treffen von drei besten Freundinnen – von denen eine Rollstuhl fährt

Verstehen ist mehr als Hören. Blogbeitrag von Margit Glasow über ihre Begegnung mit Hannah Tinten, die sich für Menschen mit Hörbehinderung einsetzt

Darf man Jungs doof finden, auch wenn sie im Rollstuhl sitzen? Interview mit Jannis und Antonia, für deren Freundschaft das Handicap des einen so gut wie keine Rolle spielt

(Mareice Kaiser)

Machen wir was!

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Eine junge und eine ätere Frau sitzen nebeneinander im Cafe und lachen.

Dagmar hat Multiple Sklerose und mit ihren 68 Jahren jede Menge Lebenserfahrung. Esther ist 25, steht mitten im Berufsleben und hat noch viel vor. Beide haben sich über das Portal „Machen wir was!“ kennengelernt. Es bringt Menschen mit und ohne Behinderung zusammen, die Spaß an gemeinsamen Unternehmungen haben. Jeder entscheidet selbst, wann und mit wem er etwas auf die Beine stellt.

Dagmar hatte aus der Stuttgarter Zeitung von dem Projekt erfahren: Eine neue Internet-Plattform wurde dort vorgestellt, auf der sich Menschen mit und ohne Behinderung verabreden können:„Machen wir was!“. Ganz nach persönlichem Interesse sollen sich die Freizeitpartner mitten im prallen „Offline-Leben“ eine schöne Zeit machen. Dagmar hat sich gemeldet, weil sie alleine nicht mehr die Wohnung verlassen kann. Seit 30 Jahren hat sie Multiple Sklerose und braucht für längere Strecken inzwischen einen Rollstuhl. Vor allem aber ist sie ein sehr offener und neugieriger Mensch. Die Gelegenheit, unter Leute zu kommen, ergriff die patente Stuttgarterin sofort am Schopf. Beim Einrichten des Online-Profils halfen die Macher der Plattform. Wenig später meldete sich Esther bei ihr.

Das erste Treffen hatte etwas von einem Blind Date. Dagmar erinnert sich: „Ein wenig nervös war ich am Anfang schon. Ich wusste ja nicht, wen ich da in meine Wohnung lasse.“ Dabei achten die Initiatoren der Plattform genau darauf, wen sie vermitteln. Ein Führungszeugnis muss jeder vorweisen. Und auch Esther wusste nicht, was auf sie zukommt.

Doch die beiden Frauen merkten schnell, dass bei ihnen die Chemie stimmt. Erst machten sie es sich in der Wohnküche gemütlich, bevor es an die frische Luft ging. Ziel war Dagmars Lieblingscafé, in dem sie schon so lange nicht mehr war. Die beiden duzen sich gleich, erzählen sich von ihren schönsten Reisen, genießen die gemeinsame Zeit – und das gerade, weil sie mindestens eine Generation trennt. Dagmar: „Wenn man mit alten Leuten unterwegs ist, unterhält man sich meist über die immer gleichen deprimierenden Themen. Mit Esther ist das anders. Da ist man wieder mitten im Leben.“

Und auch Esther hatte einen besonderen Nachmittag: „Dagmar hat schon so viel gemacht und erlebt. Da ist es einfach spannend, sich zu unterhalten.“ Die 25-Jährige arbeitet als Produktmanagerin in einem Verlag und hat jede Menge um die Ohren. Gerade deshalb schätzt sie „Machen wir was!“: „Mir gefällt die Flexibilität. Wenn man am Wochenende einen Ausflug in den Schlosspark machen will, kann man spontan jemanden mitnehmen. Das ist keine Belastung. Das ist eine Bereicherung!“

Dass es nicht bei einem Treffen bleiben muss, dafür sind Dagmar und Esther das beste Beispiel. Sie haben sich inzwischen schon ein zweites Mal gesehen. An neuen Ideen, was man gemeinsam machen kann, mangelt es nicht. Wie meinte Esthers Mitbewohner: „Bring doch mal Dagmar mit zu uns. Dann kochen wir zusammen!“ Genau so geht es.

 

Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch nach seinen individuellen Möglichkeiten selbstbestimmt leben und am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Dieses selbstverständliche Miteinander erreichen wir nur, wenn sich möglichst viele Menschen für eine inklusive Gesellschaft einsetzen und sie mitgestalten – zum Beispiel durch freiwilliges Engagement. Die Aktion Mensch bietet mit ihrer Freiwilligen-Datenbank einen Überblick über die zahlreichen Möglichkeiten: Menschen mit und ohne Behinderung können aus mehr als 16.000 Angeboten  das passende Engagement auswählen.


Weitere Ideen für inklusives Engagement finden Sie in der Freiwilligen-Datenbank.

(Henrik Flor)


Schulbesuche mit dem Blindenführhund

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Mirien Carvalho sitzt in einem Klassenzimmer zwischen Schülern, die Kinder streicheln Blindenführhund Vuelvo

Bloggerin Mirien Carvalho Rodrigues ist blind und besucht mit ihrem schwarzen Labrador-Rüden Vuelvo gelegentlich Schulklassen oder Kinderfeste, um über ihre gemeinsame Arbeit zu informieren. Begeistert ist sie bei diesen Besuchen von der Unbefangenheit und Neugier der Kinder – eine Offenheit, die sie bei Begegnungen mit Menschen ohne Behinderung sonst oft vermisst.

Mama, ich möchte auch so einen Blindenhund!

Die 9-jährige Jasmin hat das Wesentliche begriffen: Mein Hund und ich sind ein echtes Team, wir verlassen uns aufeinander, und Vuelvo kann überall dabei sein.

Kein Wunder, dass die kleine Hundeliebhaberin sich auch einen solchen Begleiter wünscht.

Ob als Aktion der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe, ob durch private oder geschäftliche Kontakte: Dann und wann werde ich gebeten, mit meinem schwarzen Labrador-Rüden Vuelvo eine Schulklasse oder ein Kinderfest zu besuchen und über unsere gemeinsame Arbeit zu informieren.

Mir macht es große Freude, denn ich spreche gern darüber, wie Hunde lernen, was sie leisten und was sie brauchen. Auch eignet sich unser kleines Team auf sechs Pfoten hervorragend dazu, den wissbegierigen Schülerinnen und Schülern etwas über gegenseitiges Vertrauen zu erzählen. Manche Grundschulen laden mich auch ein, wenn die fünf Sinne im Lehrplan stehen.

Kein betretenes Schweigen trübt die Stimmung

Mein Vuelvo ist der geborene Schulbesucher. Er ist ausgeglichen und ruhig, kann aber gleichzeitig vom Kuscheln nicht genug bekommen. So trifft sich dann schon mal eine vorsichtige Kinderhand mit der meinen am samtweichen Hundeohr. Da ist kein Raum für Eis, das erst gebrochen werden muss.

„Was meint ihr, weiß der Vuelvo, wie eine Ampel funktioniert?“, frage ich in die Runde aus gespannten Kindern im Alter zwischen 8 und 11 Jahren. Spontan rufen einige „Ja“, nach kurzem Überlegen kommen sie dann selbst darauf, dass die Schlauheit meines Hundes anders funktioniert, er also vieles lernen kann, aber nicht versteht, wie eine Ampelanlage arbeitet oder wozu sie dient. In meiner Rolle als sachkundige und freundliche Autoritätsperson, die ich mir in solchen Situationen mit der Lehrerin teile, gefällt es mir, den Kindern durch Fragen zu zeigen, wieviel sie im Grunde schon selbst beantworten können. Ich trete locker und gelöst auf, denn in diesem Rahmen fühle ich mich respektiert und nicht beobachtet.

Ich spreche das Wort „blind“ aus und niemand zuckt erschrocken zusammen. Kein betretenes Schweigen trübt die Stimmung. In der Schulklasse klingt es wie blond, groß oder nett. Die Kinder nehmen es als gegeben hin, dass ich selbst meinen Hund versorge, ihn füttere, sein Fell pflege und ihm seinen Freilauf im Wald verschaffe. Kein Schulkind hat mich je gefragt, OB ich eine bestimmte Sache tun kann. Doch sie denken mit und fragen nach dem Wie. Und die Fragen purzeln nur so aus den unbekümmerten Schülern heraus, die sich noch nicht selbst zensieren: Woher weißt du, wo du klingeln musst, wenn du zu deiner Tante willst? Wie merkst du, dass du Motten im Kleiderschrank hast? Das waren nur ein Paar meiner Lieblingsfragen. Alle wollen natürlich hören, ob ich weiß, wie mein Hund aussieht. Dann erzähle ich ihnen, dass ich immer einen großen, dunklen Rüden haben wollte, und dass ich meinen Hund jeden Tag abtaste, mit ihm spiele und kuschle, ihn nach Zecken oder Verletzungen absuche. Damit kennt niemand seinen Körper so gut wie ich. Den berühmten Hundeblick nicht zu sehen, empfinde ich als echten Vorteil – ich musste nie trainieren, ihm zu widerstehen. Dafür finde ich es ausgesprochen seltsam, wenn Hundehalter ihr eigenes Tier nicht am Bellen erkennen oder eine akustische Spielaufforderung mit einem bösen Knurren verwechseln.

Begegnung mit Kindern ist wie eine Energiespritze

So plaudern wir über Sinne, und den Kindern fällt ein, welche Geräusche ihr Haustier macht oder wie schön es ist, das Gesicht in dessen Fell zu vergraben.

Als ich erwähne, dass ich nach Gehör zum Beispiel auch ein Smartphone bedienen kann, wird auch der Junge in der letzten Reihe munter, den ich bis dahin noch nicht wahrgenommen hatte. Begeistert erzählt er von dieser und jener App und will wissen, ob ich sein Lieblingsspiel auch spiele.

Ganz nebenbei bekommen die Kinder durch meinen Besuch und meine Beispiele mit, dass ich zum Einkaufen oder Ausgehen in die Stadt fahre, im Ausland Urlaub mache und auf Dienstreisen gehe.

Bisher war jeder Schulbesuch für mich wie eine Energiespritze. Überall herrschte Unbefangenheit und echte, ungezähmte Neugier vor.

Wehmütig muss ich an die zahllosen Begegnungen denken, die durch Ausgrenzung, Scheu und Vorurteile nie zustande kamen. So viele spontane Fragen von Kindern, die durch ein scharfes „Pssst“ der Eltern vereitelt wurden; so viele ganz natürliche Gespräche, die verboten wurden, weil Erwachsene in mir nur ein wandelndes schreckliches Schicksal und nicht eine möglicherweise nette Nachbarin oder Passantin sahen.

So stehen den schönen, kleinen Gesprächen in der Schule zahllose entmutigende und frustrierende Begebenheiten gegenüber, bei denen ich als Einzige nicht gegrüßt oder einbezogen wurde.

Menschlicher Vielfalt mit positiven Gefühlen begegnen

Ich persönlich habe trotz großem Frust immer wieder neue Kraft gefunden, in die Welt hinaus zu gehen und daran zu glauben, dass es einen normalen Umgang zwischen mir und den Menschen in meiner Umwelt geben kann. Leider braucht es dazu nach wie vor viel Kraft, die nicht jeder immer und immer wieder aufbringt.

Die Schulkinder, die ich besuche, verbinden unsere Begegnung mit einem tollen Hund und einer lebensfrohen, freundlichen Frau, die ihnen etwas Spannendes beigebracht hat. Sie werden hoffentlich nicht nur Hunden, sondern auch menschlicher Vielfalt in Zukunft mit positiven Gefühlen begegnen.

Kürzlich habe ich Ronni in der Stadt getroffen. Das heißt, er hat mich gesehen und mich angesprochen: „Ich bin Ronni – Sie waren doch neulich bei uns in der Schule.“ Um ihm eine Freude zu machen, nahm ich das angebotene Kaugummi, obwohl ich sicher war, Kaugummi nicht zu mögen – es schmeckte herrlich fruchtig. Zwanglos plauderten wir über Hunde, Einkaufen und die Schule – Ronnis Lieblingsfach ist Kunst, und eifrig erklärte er mir, wie das Bild aussah, das er im Unterricht gerade nachmalte.

So einfach und nett kann eine Begegnung sein.

 

Linktipps:

Tanzende Herzen. Blogbeiträge von Mareice Kaiser und Anastasia Umrik über ihre erste Begegnung –aus ihrer jeweiligen Perspektive

Verstehen ist mehr als Hören. Blogbeitrag von Margit Glasow über ihre Begegnung mit Hannah Tinten, die sich für Menschen mit Hörbehinderung einsetzt

Auf einen Abend in der Sushi-Bar. Blogbeitrag von Wiebke Schönherr über ein Treffen von drei besten Freundinnen – von denen eine Rollstuhl fährt

(Mirien Carvalho Rodrigues)

400 &Uuml;berstunden in einer Nacht<br />&nbsp;

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Im Vordergrund sitzen zwei Männer und eine Frau in Sesseln, im Hintergrund wird Tischfußball gespielt.

Die Freitagnacht durcharbeiten? Und das Ganze ohne Bezahlung? In Berlin haben 40 Kreative auf jedes Honorar verzichtet und sozialen Organisationen unter die Arme gegriffen. So entstand etwa für die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) Berlin über Nacht nicht weniger als eine komplette Plakatkampagne. Am nächsten Morgen hingen die Motive bereits in der ganzen Stadt.
 

Am frühen Freitagabend, wenn viele müde aufs Sofa sacken, läuft sich die Designerin Gesine Grotrian und ihr Kreativteam gerade warm. Es ist "Nachtschicht". Für den ehrenamtlichen Einsatz haben sich 40 Werber, Gestalter, Texter und Programmierer versammelt, um für gemeinnützige Organisationen innerhalb von acht Stunden ein konkretes Projekt umzusetzen: einen Flyer entwerfen, eine App entwickeln, einen Imagefilm konzipieren... Organisiert hat die "Nachtschicht" der UPJ e. V., ein Netzwerk, das innovative Engagement-Formate in Unternehmen fördert, zusammen
mit der Kommunikationsagentur camici und der Kongressagentur pcma.

Die Aufgabe für das Fünfer-Team um Gesine Grotrian: Junge Menschen, die von Multiple Sklerose betroffen sind, sollen erfahren, dass es die DMSG Berlin gibt, dass hier kompetente Beratung geboten wird, man andere Betroffene kennenlernen und jede Menge Mut tanken kann. Die besondere Herausforderung: Gerade einmal bis 3 Uhr nachts ist Zeit, um gemeinsam Ideen zu diskutieren, Entwürfe zu entwickeln und die finale Gestaltung zu verabschieden. Doch dabei soll es nicht bleiben. Das Unternehmen Wall AG hat zugesagt, die Motive am Samstagmorgen an 670 Litfaßsäulen in ganz Berlin zu plakatieren.

Insgesamt bekommen in dieser Nacht sieben Projekte die Unterstützung eines professionellen Pro-bono-Teams, 60 hatten sich beworben. In der Konferenzetage des Tagesspiegels bekommt jede Gruppe einen eigenen Raum. Im großzügigen Foyer ist ein üppiges Buffet aufgebaut. DMSG-Mitarbeiter und Kreative tauschen sich in entspannter Atmosphäre aus, lernen sich kennen und kickern zusammen.

Im Raum des DMSG-Teams liegen alle Ideen des Brainstormings auf dem großen Arbeitstisch. Ein gründliches Briefing durch die Projektmitarbeiter hatte vorher schon stattgefunden. Hermann, Julia, Sven, Detlef und "Team-Captain" Gesine verständigen sich auf die Marschrichtung. Hermann und Detlef machen sich an den Text, Julia und Sven konzentrieren sich auf Grafik und Design. Bei Gesine laufen alle Fäden zusammen, sie hat die Uhr im Blick und ist die Schnittstelle zu den Projektvertretern. Sie alle sind Selbstständige, einige hatten schon mal beruflich miteinander zu tun, andere begegnen sich zum ersten Mal. Warum sie sich ehrenamtlich die Nacht um die Ohren schlagen? Gesine: "Ich fand es eine lustige Idee, statt Geld Zeit zu spenden. Auch wenn es die Uhrzeit in sich hat…"

Um 22 Uhr präsentiert das Kreativ-Team den Mitarbeitern vom DMSG Karin May, Barbara Wohlfeil und Linda Piele die ersten Entwürfe. "Arschbombe mit MS", "Picknick mit MS" und "Sex mit MS". Fette schwarze Schrift auf weißem Grund. Das haut rein und räumt mit Klischees auf, die MS-Erkrankte oft nur als Rollstuhlfahrer kennen. "Man kann sein normales Leben weiterleben mit MS und wir helfen dabei", so die Botschaft der Motive. Aber geht dieser drastische Entwurf? Wie kommt das bei Betroffenen an? Die beiden Gruppen diskutieren und jeder bringt seine Expertise ein. Dann ist klar: Ja, es irritiert, aber gerade deshalb funktioniert es. Der nächste Schritt ist die Ausarbeitung.

Kurz nach Mitternacht stehen die finalen Entwürfe. Um 1 Uhr, sogar zwei Stunden früher als gedacht, sind die Vorlagen in der Druckerei. Damit fällt eine ganze Menge Anspannung von Gesine Grotrian ab. Sie und die anderen Engagierten haben heute Nacht viel geschafft. Wenige Stunden später schwärmen die Plakatierer aus. Und bald weiß jeder: Arschbombe geht auch mit MS.

Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch nach seinen individuellen Möglichkeiten selbstbestimmt leben und am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann. Dieses selbstverständliche Miteinander erreichen wir nur, wenn sich möglichst viele Menschen für eine inklusive Gesellschaft einsetzen und sie mitgestalten – zum Beispiel durch freiwilliges Engagement. Die Aktion Mensch bietet mit ihrer Freiwilligen-Datenbank einen Überblick über die zahlreichen Möglichkeiten: Menschen mit und ohne Behinderung können aus mehr als 16.000 Angeboten  das passende Engagement auswählen.

Weitere Ideen für inklusives Engagement finden Sie in der Freiwilligen-Datenbank.

(Henrik Flor)

G&auml;nsehautmomente gratis

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Es ist eine Frau zu sehen, die ein Mikrofon hält. Sie hat verkürzte Arme. Dahinter stehen drei Personen. Zwei gucken auf den Boden, eine guckt die Frau mit dem Mikrofon an.

Wie können wir Inklusion voran bringen? In der Schule, am Arbeitsplatz, in der Freizeit, im Internet? 140 Teilnehmer haben darüber am Samstag in Dortmund beim ersten Barcamp zum Thema Inklusion diskutiert.

Meine Hashtags sind #Neugier #Netzwerken #Machen – 140 Engagierte sitzen Samstagvormittag (21.03.2015) in der Technischen Universität in Dortmund. Sie wollen reden, über Inklusionsprojekte und wie sie das ganze Thema weiter voran bringen können. Nach der Vorstellungsrunde, bei der alle ihre drei Hashtags des Tages setzen, kann jeder zum 45-Minuten-Experten und Ideengeber werden, denn das spannende an einem Barcamp ist, dass die Konferenz-Teilnehmer selbst entscheiden, über welche Themenaspekte sie an dem Tag in den Vorträgen, den sogenannten Sessions, diskutieren wollen – der Tagesplan entsteht also live vor Ort in Teamarbeit.

Zuerst werden die Session-Vorschläge gesammelt, statt geplanten 20 sind es am Ende 27. In den Sessions wird dann über unterschiedliche Inklusions-Konzepte und -Ideen gesprochen. Bei Anastasia Umrik geht es zum Beispiel um ihr ProjektinkluWAS und die Frage, wie Design das Denken verändert. Domingos de Oliveira spricht über Barrierefreiheit im Internet und Stefan Zollondz und Imke Meyer stellen ein Stufen-Modell vor, mit dem Teilhabe in verschiedensten Lebensbereichen funktionieren kann. In allen Sessions wird nicht nur fleißig getwittert, es sitzen auch immer Menschen vom Organisations-Team dabei, die die einzelnen Sessions dokumentieren, damit alle Interessierten online nachlesen können, über was bei den einzelnen Vorträgen diskutiert wurde.

Die Qual der Wahl

Das Schwierigste ist, sich für die einzelnen Sessions zu entscheiden. Es laufen jeweils sechs oder sieben parallel und für viele davon, sind die angesetzten 45 Minuten zu wenig. In der SessionInklusion in der Arbeit werden beispielsweise erstmal Faktoren gesammelt, die es Menschen mit Behinderung zurzeit erschweren, auf dem ersten Arbeitsmarkt einen Job zu bekommen. Unter den Teilnehmern sind Menschen, die in Behindertenwerkstätten arbeiten, Unternehmer, Interessierte – da kommt viel zusammen. Die Tafel füllt sich mit Faktoren, als es dann darum gehen soll, wie die einzelnen Hürden angegangen werden könnten, sind die 45 Minuten schon rum.

Aus dem Internet in die „echte“ Welt

Aber nicht alles ist so komplex wie der Arbeitsmarkt. Die Idee von Johannes Mairhofer beispielsweise ist erstmal eher simpel. Er hat für sein Projekt #keinwiderspruch Menschen mit Behinderungen fotografiert. Die Fotografierten haben zu ihren Bildern dann Texte über sich geschrieben, in denen es darum geht, warum es kein Widerspruch ist, positiv mit einer Behinderung umzugehen, sie als Vorteil zu sehen und mit einer Behinderung erfolgreich zu sein. Fünf der Porträtierten lesen die Texte, die sie über sich geschrieben haben, dann in einer Mini-Lesung selbst vor – Gänsehautmomente gibt es gratis dazu. Zum Beispiel den, in dem das Rollifräulein, die eine Sprachbehinderung hat, ihren Text vorliest. Sie ist ziemlich nervös. Etwa 30 Teilnehmer sitzen ihr gegenüber, mitfiebernd. Die Handys liegen für 15 Minuten unberührt in der Ecke oder hängen an Steckdosen und freuen sich über Stromnachschub. Alle hören einfach zu, lassen sich nicht ablenken und freuen sich mit ihr, dass sie so mutig war, den Text zu lesen. Am meisten freut sich das Rollifräulein selbst. Später twittert sie: „ey leute, ich hab heute 1 1/2 seiten vorgelesen. wie krass das einfach ist. einfach unfassbar. für mich. #angstlisteStreichen“. Die Fotos und Texte des Projekts sollen dieses Jahr in einem Buch veröffentlicht werden.

Wiederholung, bitte

Bei der Verabschiedung am Nachmittag wünschen sich viele eine Wiederholung des Barcamps. Besonders gut angekommen ist die Mischung aus interessanten Sessions und dass sich die Teilnehmer „endlich mal“ über die Probleme bei der Umsetzung von Inklusion austauschen und voneinander lernen können. Der Twitterer @QuerDenkender fasst den Samstag so zusammen: „Das #otc15 war einfach geil.“ Er will jetzt Inklusions Dauercamper werden. Was noch getwittert wurde, ist hier zusammengefasst.

 

Dieser Beitrag nimmt an der Blogparade #otc15 teil.

 

Linktipps

Die Dokumentation der einzelnen Sessions

Das Inklusionsbarometer 2014

 

Ein Raum, voll mit Menschen. Sie hören der Eröffnungsrede zu.Ein Raum, der zur Hälfte voll ist mit Menschen. Rechts im Bild sind Stühle zu sehen, darauf sitzen Teilnehmer. Links stehen Teilnehmer und in der Bildmitte sind Rollstuhlfahrer zu sehen. Die Personen auf dem Bild warten.Auf dem Foto ist ein schlafender Blindenhund zu sehen. Er liegt auf dem Boden. Sein Fell ist schwarz.Auf dem Boden liegen Karten. Auf den Karten in der Mitte ist ein Baum zu erkennen. Rechts und Links vom Baum liegen jeweils zwei weitere Karten und unter dem Baum liegen viele kleine Karten. Die Karten verbildlichen ein Inklusions-Modell.Auf dem Bild ist der Sitzungsplan des Barcamps zu sehen.Auf dem Foto stehen Menschen in einer Schlange. Sie haben Zettel in der Hand. Ganz vorne in der Schlange steht eine Frau. Sie hält ein Mikrofon in der Hand.Zwei Frauen lassen sich fotografieren. Sie lachen der Fotografin zu. Auch die Fotografin ist im Bild zu sehen. Sie hält die Kamera auf die zwei Frauen.Man sieht Teilnehmer von hinten, die auf braunen Holzstühlen sitzen. Vorne ist eine Leinwand zu sehen. Darauf ist das Foto einer Frau. Zu sehen sind drei sitzende Männer. Zwei haben einen Laptop auf dem Schoß, einer hält einen Tablet-Computer in der Hand.Es ist eine Frau zu sehen, die ein Mikrofon hält. Sie hat verkürzte Arme. Dahinter stehen drei Personen. Zwei gucken auf den Boden, eine guckt die Frau mit dem Mikrofon an.

(Daniela Herrmann)

„Wir schauen dorthin, wo es noch hapert“

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Gruppenbild mit lachenden Menschen, die Broschüren der Aktion Mensch hochhalten

Schulen, Kindertagesstätten, Elterninitiativen und Freizeiteinrichtungen – im Kreis Warendorf im Münsterland tauschen sie Ideen für mehr Inklusion aus und planen gemeinsame Aktionen. Die erklärte Absicht des Netzwerks: das Miteinander von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung in allen Lebensbereichen zu intensivieren. Sylvia Klett leitet die Kontakt- und Informationsstelle des Netzwerks, das inzwischen aus 23 Institutionen besteht. Bei ihr laufen die Fäden zusammen. Auf dem „openTransfer CAMP Inklusion“ in Dortmund (21.03.2015) hat sie ihre Arbeit vorgestellt. Im Interview berichtet sie, wie das Inklusionsprojekt ins Rollen kam.

Das Netzwerk Inklusion im Kreis Warendorf besteht seit Oktober 2013. Wie haben sich die Partner zusammengefunden und was passiert im Netzwerk?

Sylvia Klett: Angefangen hat es mit der Elterninitiative „Inklusion im Kreis Warendorf“. Die Eltern haben schon vor zehn Jahren nach Alternativen gesucht, zu dem für Kinder mit Behinderung vorgezeichneten Weg auf die Förderschule. Der Kinderschutzbund Kreis Warendorf hat die Ideen dann aufgegriffen und mit seinen personellen und finanziellen Möglichkeiten in die Tat umgesetzt. Unsere Absicht war es, Menschen und Institutionen zusammenzubringen, von denen wir wussten, dass sie sich für Inklusion im Kreis Warendorf einsetzen. Wir haben Erfahrungen und Know-how gesammelt, um dann zu sehen, was wir gemeinsam machen können und wollen. Wir haben ein Leitbild für das Netzwerk entwickelt, Arbeitsgruppen gegründet und Aktionen geplant. Unser Ziel ist es dabei immer, innerhalb des Netzwerks voneinander zu lernen und Best-Practice-Beispiele weiterzugeben.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir schauen dorthin, wo es noch hapert bei der Umsetzung von Inklusion. Beispielsweise beim Übergang vom Kindergarten in die Schule. Im Kindergarten wird sehr oft eine inklusive Selbstverständlichkeit gelebt. Aber in vielen Grundschulen läuft in dieser Hinsicht fast nichts. Wir fragen, warum das so ist und wie wir das ändern können. Dann kommt es vor, dass eine Grundschule, die schon seit vielen Jahren intensive Erfahrungen mit dem gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung hat, zu anderen Kindergärten und Grundschulen geht und ihr Konzept dort vorstellt.

Außerdem versuchen wir, eine gute Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Im letzten Jahr beispielsweise hat das Netzwerk seine Arbeit in der Warendorfer Fußgängerzone vorgestellt. Ein eigenes Logo haben wir ebenso entwickelt wie eine eigene Webseite.

Wie geht es weiter mit der Umsetzung von Inklusion in Warendorf?

Wir haben gemerkt, dass Eltern dem Thema Inklusion oft sehr hilflos gegenüberstehen. Deshalb werden wir einen Leitfaden zu relevanten Inklusionsfragen entwickeln, für Eltern aber auch für Fachleute (Therapeuten, Ärzte etc.). Darin soll es um Fragen gehen wie: „Nach welchen Kriterien suche ich eine Schule aus?“, „Welche Rechte habe ich?“, „Was passiert nach der Schule? Gibt es Alternativen zur Arbeit in Behindertenwerkstätten?“. Der Leitfaden soll leicht zu verstehen sein und sich an ganz praktischen und konkreten Beispielen orientieren. Außerdem wird es weiterhin regelmäßige Treffen und gemeinsame Aktionen der Netzwerkpartner geben.

Wie finanziert sich Ihr Netzwerk?

Bis 2012 war meine Arbeit mehr oder weniger ehrenamtlich. Und deshalb zeitlich recht begrenzt. Dann sind wir auf die Fördermöglichkeiten der Aktion Mensch im Bereich Inklusion aufmerksam geworden. Mit der Förderung, die auf drei Jahre angelegt ist (bis Oktober 2016), konnten wir meine halbe Stelle als Koordinatorin des Netzwerks einrichten. Das Netzwerk wird angenommen, aber es braucht jemanden, der das Ganze koordiniert und moderiert. Und unsere Arbeit geht eindeutig über das Ehrenamt hinaus.

 

Förderprogramm Inklusion der Aktion Mensch

Ganz klar: Inklusion braucht Engagement und viele gute Ideen. Aber Inklusion braucht auch Geld. Die Aktion Mensch unterstützt mit ihrem Förderprogramm Inklusion Projekte und Initiativen, die vor Ort unterschiedliche Akteure aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens vernetzen. So wie die 23 Akteure im Kreis Warendorf. Vernetzen kann man sich natürlich nicht alleine. Mindestens zwei Partner, von denen einer außerhalb der Behindertenhilfe steht, müssen in Sachen Inklusion gemeinsam aktiv werden, wenn sie von der Aktion Mensch gefördert werden möchten. Hier bieten sich beispielsweise Partner aus Wirtschaft, Sport und Kultur zur Zusammenarbeit an. Wichtig ist vor allem, dass sie das selbstverständliche Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung ermöglichen – in Bildung und Arbeit, beim Wohnen, in der Freizeit und beim Thema Barrierefreiheit. Pro Projekt stehen bis zu 250.000 Euro über maximal drei Jahre zur Verfügung. Gut zu wissen: Die Aktion Mensch unterstützt bereits die Projekt-Planungsphase mit bis zu 15.000 Euro. Diese Planungsphase darf bis zu einem Jahr dauern. Und wenn aus dem Projekt dann doch nichts wird, ist das zwar sehr schade, aber kein Beinbruch, denn das Geld muss nicht zurückgezahlt werden.

Mit der Förderaktion „Noch viel mehr vor“ unterstützt die Aktion Mensch außerdem kleine, lokale Aktionen zur Inklusion mit bis zu 5.000 Euro. Das kann beispielsweise ein Sportfest, ein Theaterprojekt oder ein inklusiver Kochkurs sein. Die Laufzeit der Aktionen und Projekte darf dabei zwischen einem Tag und einem Jahr liegen. Eigenmittel auf Seiten der Projektausrichter sind nicht nötig. Die Antragstellung ist ganz einfach und unkompliziert.

Mehr Informationen zu den Fördermöglichkeiten der Aktion Mensch, sowie zu Fördervoraussetzungen und Antragstellung finden Sie auf der Webseite der Aktion Mensch.

 

Dieser Beitrag nimmt an der Blogparade #otc15 teil.

 

Linktipps:

Sie haben eine tolle Projektidee und wollen sich für eine Förderung bei uns bewerben? Von der Idee bis zum Projektantrag – hier wird alles Schritt für Schritt erklärt!

Inklusion gemeinsam weiter voran bringen. Interview von Ulrike Pfaff mit Uwe Blumenreich von der Aktion Mensch über das Förderprogramm Inklusion

Voller Einsatz – für Inklusion und gesellschaftliche Teilhabe. Blogbeitrag von Margit Glasow über einen Rostocker Verein, der sich für ein gleichberechtigtes Miteinander engagiert

Netzwerk und inklusiver Sport für Gehörlose. Das Förderprojekt „Gehörlosennetzwerk Neuss“ arbeitet für das inklusive Training von Menschen mit und ohne Hörschädigung

„Wir sind offen für alle“. Das Förderprojekt „Soziales Netzwerk für Jugend und Vereine am Auersberg“ bringt im Erzgebirge die Inklusion voran

(Ulrich Steilen)

Deutschland auf dem Pr&uuml;fstand<br />&nbsp;

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Die Delegation der UN-Behindertenrechtskonvention - 16 Personen mit und ohne Behinderung

Zwei Tage lang stand Deutschland in Sachen Inklusion auf dem internationalen Prüfstand. Der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD-Ausschuss) hat am 26. und 27. März in Genf Rückmeldung zum Umsetzungsstand der Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) hierzulande gegeben. Seit dem 26. März 2009 ist das Vertragswerk der Vereinten Nationen auch in Deutschland gültiges Recht. Die Bundesregierung hatte das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen damals ratifiziert und sich damit auch zu seiner Umsetzung verpflichtet. Was ist in diesen sechs Jahren passiert? Hat das Land seine Hausaufgaben gemacht, Barrieren abgebaut und die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen verbessert?
In Genf mit dabei war Christina Marx, Leiterin der Abteilung Aufklärung bei der Aktion Mensch. Im Interview schildert sie ihre Eindrücke.
 

Vorab: Wie war die Stimmung? Kam es zum vorgesehenen "Constructive Dialogue", also zum "Staatendialog" zwischen Vertragsstaat, Zivilgesellschaft und UN-Fachausschuss?

 

Christina Marx: Die Staatenberichtsprüfung war natürlich eine ganz besondere Situation – sowohl für die Zivilgesellschaft wie auch für die Bundesregierung. Das war die vergangenen zwei Tage spürbar. Hans-Günter Heiden von der BRK-Allianz, die die Interessen der Menschen mit Behinderung in Genf vertreten hat, hat es so formuliert: „Wir haben über drei Jahre auf diesen Tag hingearbeitet“. Das allein zeigt, welche Bedeutung diese Überprüfung für die Zivilgesellschaft hat. Und die Bundesregierung, die vor dem UN-Ausschuss Rede und Antwort stehen musste, war mit einer über 20-köpfigen Delegation angereist, darunter die Behindertenbeauftrage Verena Bentele und die Parlamentarische Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller als Delegationsleiterin sowie Mitarbeiter zahlreicher Fachministerien. Also ein wirklich wichtiges Thema für alle Seiten.

 

Wie ist das Zeugnis für Deutschland ausgefallen?

Zusammenfassend könnte man vielleicht sagen: Es ist schon viel passiert, aber es liegt noch ein langer Weg vor uns. Frau Lösekrug-Möller hat es in ihrem Eingangsstatement so ausgedrückt: „Wir geben uns mit dem Erreichten nicht zufrieden. Wir müssen unsere Inklusionsbemühungen fortsetzen“. Das sieht die BRK-Allianz, die hier in Genf von Dr. Sigrid Arnade vom ISL e.V. geleitet wurde, wie auch der UN-Fachausschuss naturgemäß genauso. Die internationalen Experten hatten eine Vielzahl kritischer Fragen zusammengetragen, die die Regierung nach kurzer Beratungszeit beantworten musste. Dabei waren die schulische Inklusion genauso Thema wie die Schwierigkeiten für Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. UN-Berichterstatterin Diane Kingston hinterfragte kritisch, warum weniger als einem Prozent der Werkstattmitarbeiter der Übergang auf den ersten Arbeitsmarkt gelingt. Auch die Frage der Verpflichtung zur Barrierefreiheit in der Privatwirtschaft, Wahlrecht für Menschen unter kompletter Betreuung und Disability Mainstreaming wurden aufgebracht. Und immer wieder kam die Frage nach Daten und Studien: Wissen wir eigentlich genug über die Situation und die spezifischen Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen?

 

Die Bundesregierung hat 2011 einen Nationalen Aktionsplan verabschiedet. Inhalt des Aktionsplans: Maßnahmen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. War der Plan ambitioniert genug?

Ein Mitglied des Ausschusses sagte fast augenzwinkernd: „Deutschland ist eine der führenden Nationen, da ist es nicht leicht, etwas zu kritisieren“, um dann gleich eine kritische Frage zum Nationalen Aktionsplan (NAP) anzuschließen. Erstaunlich offen fiel die Antwort der Bundesregierung aus: Eine Evaluation aus dem Jahr 2013 habe gezeigt, dass es an messbaren Zielen ebenso mangele wie an der Beteiligung von Menschen mit Behinderung und einem konsequenten Monitoring. Der Aktionsplan enthält rund 200 Maßnahmen, deren Fortschritt von der Zivilgesellschaft kritisch beobachtet wird. Die BRK-Allianz ist der Ansicht, dass die Bundesregierung ihre Verantwortung zur Umsetzung der UN-BRK nur halbherzig wahrnimmt und vielfach nur auf die Bundesländer verweist. Das hat sie auch in Genf nochmal sehr deutlich gemacht.

 

Was wurde bisher erreicht, um die Situation von Menschen mit Behinderung in unserer Gesellschaft zu verbessern beziehungsweise deren gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen?

Seit 2009 ist einiges in Bewegung geraten. Bund, Länder und Gemeinden befassen sich mit der Zielsetzung der UN-BRK. Alle Bundesländer mit Ausnahme von Sachsen haben Aktionspläne verabschiedet. Allerdings, so die Kritik der BRK Allianz, mangelt es derzeit noch an der qualitativen Beurteilung. Die Diskussion um Inklusion besonders im Bereich Bildung und auch in Hinblick auf Inklusion am Arbeitsmarkt hat Fahrt aufgenommen. Aber es sind vor allem viele nichtstaatliche Akteure, einschließlich der Menschen mit Behinderung, die sich für die Umsetzung der Vorgaben durch die UN-BRK einsetzen. Die BRK-Allianz, ein Netzwerk von 78 NGOs hat daran einen großen Anteil.

 

Wie geht es nach der Staatenprüfung weiter?

Zunächst einmal muss man festhalten: Die Fragen des Fachausschusses haben von einer sehr großen Sachkenntnis gezeugt. Die Experten haben sich sehr gründlich mit der Situation in Deutschland befasst. Jetzt heißt es abzuwarten, wie die Empfehlungen, die sogenannten "concluding oberservations" für die Bundesregierung konkret aussehen. Die 18 internationalen Experten werden diese binnen 24 Stunden nach Sitzungsende formulieren. „Konkret und sehr kompakt“, wie Berichterstatterin Diane Kingston versprach. Wie die genau aussehen, werden wir wohl in rund drei Wochen erfahren.

 

Mehr Informationen zur UN-BRK:

Aktion Mensch – UN-Behindertenrechtskonvention

Artikel "UN-Behindertenrechtskonvention" auf Familienratgeber.de

BRK-Allianz

Deutsches Institut für Menschenrechte – Staatenberichtsprüfung 2015

 

Mehr Informationen zum UN Fachausschuss und zahlreiche Dokumente zur 13. Session: http://www.ohchr.org/EN/HRBodies/CRPD/Pages/CRPDIndex.aspx

 

(Ulrich Steilen)

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